Vom Landrat und der „dummen Bundesbahn“: Vor fast 50 Jahren sollte die Paartalbahn stillgelegt werden
Stundentakt Augsburg – Schrobenhausen – Ingolstadt, 30-Minuten-Takt Augsburg – Aichach, 15-Minuten-Takt Augsburg – Friedberg. Noch nie gab es auf der Paartalbahn so viele Züge wie im 150. Jubiläumsjahr. Noch nie fuhren so viele Reisende wie heute.
Das sah schon einmal ganz anders aus. Nur noch ältere Schrobenhausener erinnern sich daran, dass die einstige Deutsche Bundesbahn die Paartalbahn schon einmal stilllegen wollte. Fast 50 Jahre ist es her, dass sich dunkle Wolken über der Strecke zusammenballten. Bundesbahn-Vorstand und Verkehrspolitik hatten 1976 das Konzept eines „betriebswirtschaftlich optimalen Netzes“ ausgeheckt, und diesem sollten auch die Personenzüge auf der Paartalbahn zum Opfer fallen.
In Schrobenhausen brach ein Sturm der Empörung los: Kommunale Gremien, politische Parteien, Vertreter von Industrie und Handel, Gewerkschaften und viele Bürger, die ihren Namen auf Unterschriftslisten zum Erhalt der Bahn setzten, meldeten massiven Protest an. Ganz besonders deutlich wurde Landrat Dr. Walter Asam (1926-2002): „Der Bundesbahn fällt jeden Tag eine andere Dummheit ein!“ echauffierte sich der langjährige Landkreis-Chef im Januar 1979 in öffentlicher Sitzung. Dr. Alfons Thoma (1917-2011), Präsident der Bundesbahndirektion München, war sehr beleidigt. Worauf denn diese „dem Unternehmen Bundesbahn abträgliche Äußerung“ zurückzuführen sei, wollte der oberste bayerische Eisenbahner wissen. Landrat Asam dachte nicht daran einzuknicken. „Leider muß ich im Hinblick auf meine Enttäuschung über die Pläne der Deutschen Bundesbahn (Streckenstillegung) auch heute noch zu der von mir geäußerten Bemerkung stehen“, schrieb der Landrat zurück nach München.
Blättert man heute in alten Ausgaben der Schrobenhausener Zeitung, so erzählen allein schon die Titel der mehr als 60 Berichte und Kommentare, die zwischen 1976 und 1979 zum Thema Paartalbahn erschienen, eine beredte Geschichte zwischen Hoffen und Bangen, Protest und Resignation. Eine kleine Auswahl: „Über 1000 Pendler melden Protest an“ – „Wir fahren mit der Bahn und wollen mit der Bahn fahren“ – „Pläne der Bundesbahn gefährden die Entwicklung Schrobenhausens“ – „Gegen die Pläne der Bundesbahn wurde viel Dampf abgelassen“ – „JU und Landjugend wenden sich gegen die Reisezugverlagerung“ – „Busse können den Bahnverkehr niemals ersetzen“ – „Industrie und Handelskammer für den Personenzugverkehr“.
Nach drei Jahren, im Herbst 1979, war die Schlacht gewonnen. Eine ganze Reihe von Bahnstrecken in Bayern erwischte es. Die Personenzüge auf der Paartalbahn blieben erhalten. Doch der Hader mit der Bahn begann bald aufs Neue: Immer mehr Stationen wurden geschlossen, so etwa Hörzhausen, Edelshausen und Niederarnbach. Diese „Salami-Taktik“ fand am 2. Juni 1985 ihren Höhepunkt mit der völligen Einstellung des Zugverkehrs am Samstag und der Reduzierung auf zwei Abendzüge an Sonn- und Feiertagen zwischen Aichach und Ingolstadt. Ersatzbusse waren mangels Nachfrage rasch wieder verschwunden. Die große Wende kam dann genau nach elf Jahren am 2. Juni 1996. Im neu geschaffenen Bayern-Takt fuhren die Züge nun werktags erstmals im Stunden- und am Wochenende im Zweistunden-Takt. Von da an ging’s bergauf mit der Paartalbahn.
Als Güter noch mit der Bahn kamen: Schrobenhausen hatte früher einen „richtigen Bahnhof“
Das Schrobenhausener Bahnhofgebäude hat sich trotz einiger Um- und Anbauten seit der Eröffnung der Paartalbahn vor 150 Jahren äußerlich in seiner Grundform erhalten. In dem heute wie viele andere in Privatbesitz befindlichen Bahnhof ist die derzeit zuständige „DB InfraGO“ nur noch Mieter und schert sich wenig um ein freundliches Ambiente. Der Eingangsraum mit dem geschlossenen Schalter heißt in all seiner Trostlosigkeit den Reisenden nicht gerade willkommen. Allein die drei Fenster der Schrobenhausener Glaskünstlerin Brigitte Schuster aus dem Jahr 2010 setzen einen gewissen Akzent.
Früher ging es im Bahnhof belebter zu: Fahrkarten-Schalter, Schalter für Gepäck und Expressgut sorgten für Publikumsverkehr. Stichwort Expressgut – schnelle Beförderung in regulären Zügen: Auch die Druckvorlagen der Schrobenhausener Zeitung, damals „Matern“ genannt, wurden viele Jahre Tag für Tag per Bahn nach Ingolstadt zum Donaukurier geschickt – das klappte zuverlässig. Neben dem Bahnhof befand sich die Güterhalle für das Stückgut, bis zuletzt mit der Aufschrift „Kgl. Güterexpedition“ (heute stehen dort Fahrräder). Für Viehtransporte gab es eine eigene Rampe.
Das einst zahlreiche Personal ist bis auf den Fahrdienstleiter, der im kleinen Stellwerksvorbau seine Arbeit verrichtet, verschwunden. Ebenso verschwunden sind die umfangreichen Gleisanlagen, die in zwei „Rückbauaktionen“ von fünf bis auf das für Zugkreuzungen erforderliche Minimum von zwei Gleisen reduziert wurden.
Arg geschrumpft sind sie, die Anlagen des Schrobenhausener Bahnhofs. Dieser „klassische Personenzug“ nach Ingolstadt mit Diesellokomotive der Baureihe 211 und vier Wagen, steht 1981 auf dem dritten von insgesamt fünf Gleisen. Heute sind es noch zwei Gleise, auf denen sich jede Stunde die Triebzüge der Bayerischen Regiobahn begegnen. (Foto: Benno Bickel)
Die Gütergleise, auf denen fleißig rangiert wurde, sind heute überbaut oder der natürlichen Vegetation überlassen. Die zwei Ladestraßen, an denen von Güterwagen in Straßenfahrzeuge ein- oder ausgeladen wurde – oft lanwirtschaftliche Produkte – gehören ebenso der Vergangenheit an. Nicht besser erging es den Anschlußgleisen Schrobenhausener Industriebetriebe: Leinfelder, Ytong, Baywa, Sägewerk Prücklmair, „Kartoffelflocken“ – alle brauchten mal die Bahn. Für den Rangierbetrieb besaß der Schrobenhausener Bahnhof eine eigene kleine Diesellok, eine sogenannte Kleinlok. 1988 wurde sie abgezogen.
Als Güter noch mit der Bahn nach Schrobenhausen kamen: Die „bahnhofseigene“ Kleinlok bringt auf dem längst verschwundenen Anschlußgleis entlang der Königslachener Straße zwei Güterwagen mit Kalk zur Firma Ytong. (Foto: Benno Bickel)
Einen „richtiger Bahnhof“ wie aus dem Bilderbuch gibt es heute in Schrobenhausen nicht mehr, nachdem sich ab den 1980er Jahren mindestens zweieinhalb Jahrzehnte lang der von der großen Verkehrspolitik gewollte Rückzug der Eisenbahn vollzog. Das mag so manchen Nostalgiker schmerzen, doch das Angebot im Reisezugverkehr ist im Jubiläumsjahr besser, schneller und komfortabler denn je. Der Güterverkehr aber ist seit Anfang der Jahrtausendwende tot. Alles läuft in Schrobenhausen über die Straße.
Eine „alte Innovation“ kehrt zurück
Die Zukunft der Paartalbahn soll jüngsten Verlautbarungen gemäß im 150. Jahr ihres Bestehens in einer Teilelektrifizierung und dem Einsatz batterie-elektrischer Triebzüge liegen. Kurios: Das gab es bereits einmal, und das zu Zeiten, als das Modewort „innovativ“ noch friedlich im Fremdwörter-Duden schlummerte und nur selten in Aktion treten musste. Von den frühen 1960er Jahren bis 1985 fuhren auf der Paartalbahn häufig sogenannte Akkumulator-Triebwagen, die leise summend im Schrobenhausener Bahnhof hielten, um sich dann – mit etwas behäbiger Beschleunigung – wieder auf den Weg zu machen. Ihre Energie bezogen sie aus schweren Varta-Batterien; Ladestationen gab es in Augsburg und Ingolstadt. Ob ihres leisen Fahrgeräusches und der großen Laufruhe waren die Fahrzeuge beim Reisepublikum beliebt. Ökologische Überlegungen spielten bei diesen „frühen Umweltschützern auf Schienen“ noch keine Rolle. Vielmehr ging des darum, die Vorteile des elektrischen Betriebs ohne die hohen Kosten einer Elektrifizierung auch auf weniger befahrenen Strecken zu nutzen. Auch wenn sich die Batterie-Technik seither stürmisch weiter entwickelt hat und damals von einer Aufladung via elektrischer Oberleitung noch nicht die Rede war, so ganz neu ist diese ’Innovation nicht.
Leise surrend und emissionslos hat der Akku-Triebwagen 515 007 auf seinem Weg nach Schrobenhausen gerade die Feldwegbrücke unweit der Königslachener Straße passiert. Das Bild dieser „vergessenen Innovation“ entstand um 1980. (Foto: Benno Bickel)