Die Paartalbahn Augsburg – Friedberg – Aichach – Schrobenhausen – Ingolstadt ist 150 Jahre alt geworden. Doch bevor am 15. Mai 1875 der erste Zug fuhr, musste die Strecke gebaut werden. Das dauerte von 1872 bis 1875. Bevor die Strecke gebaut werden konnte, brauchte es Planung – technisch, wirtschaftlich, organisatorisch und zunächst vor allem politisch. Der politische Prozess dauerte von 1860 bis 1871 und somit dreimal länger als die Bauzeit. Der Schrobenhausener Stadtpfarrer und Landtagsabgeordnete Dr. Anton Schmid spielte dabei in einer bemerkenswerten Episode die Hauptrolle: Er plädierte in der Kammer der Abgeordneten nicht nur für eine Paartalbahn, sondern für die Streckenführung der Bahnverbindung München – Ingolstadt über Schrobenhausen statt über Pfaffenhofen. Die Münchner Strecke über Dachau, Indersdorf und Jetzendorf und die von Augsburg kommende Strecke sollten sich in Schrobenhausen vereinigen und weiter nach Ingolstadt und schließlich Regensburg führen.
Wir schreiben das Jahr 1863. In Nordamerika tobt der Sezessionskrieg, ein patriotischer Aufstand in Polen wird von Russland und Preußen mit aller Macht unterdrückt. In Bayern herrscht gottlob Frieden. Das kleine Landstädtchen Schrobenhausen zählt gut 2100 Einwohner. Einige von ihnen treibt etwas um, das man heute als “Innovation” bezeichnen würde: Ein Anschluss an das im Entstehen begriffene Eisenbahnnetz.

Mag es auch schon frühere Überlegungen gegeben haben, seriös nachweisen lassen sich Bestrebungen zum Bau einer Paartalbahn erst im Jahr 1860. Die Initiative dazu geht von der Stadt Augsburg aus. Dort treffen sich am 28. August im kleinen Rathausaal Vertreter der Städte Friedberg, Aichach, Schrobenhausen und der Gemeinde Reichertshofen und kommen überein, sich gemeinsam für den Bahnbau zu engagieren.
Im Jahr darauf wird eine Denkschrift an König Maximilian II (reg. 1848 bis 1864) auf den Weg gebracht, die vom Februar 1861 datiert:
„Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König!
Allergnädigster König und Herr!
Die Vertreter der Städte Augsburg, Friedberg, Aichach, Schrobenhausen und des Marktes Hohenwart nahen sich den Stufen des Thrones Euer Königlichen Majestät, um Allerhöchst-Ihrer Weisheit das Projekt einer Eisenbahn zwischen Augsburg und Ingolstadt durch das Thal des Paarflusses allerehrfurchtvollst zu unterbreiten. …“
Die Bemühungen zeitigen bald Früchte. Im Mai 1861 legt der Königliche Betriebsingenieur Alois von Röckl (1822-1885) einen ersten Entwurf für eine Strecke vor, die vom Gut Stierhof bei Augsburg über Aichach, Schrobenhausen, Hohenwart, Freinhausen und Reichertshofen nach Ingolstadt führen soll. Im April 1863 legt Röckl einen Plan mit deutlich geänderter Linienführung vor: Nun nicht mehr über Hohenwart, sondern über Arnbach (dem heutigen Niederarnbach) nach Ingolstadt, also so, wie schließlich auch gebaut wurde. Es folgen weitere Denk- und Bittschriften der interessierten Städte und Gemeinden, die sich an den Landtag, Auch der Magistrat der Stadt Schrobenhausen wird am 27. August 1863 nochmals vorstellig.
Im Herbst des gleichen Jahres befasst sich die Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landestages mit einem Gesetzentwurf der Königlichen Regierung, “die Vervollständigung und weitere Ausdehnung der bayerischen Eisenbahnen betreffend” – wie es in schönstem Amtsdeutsch heißt. Eine Bahnstrecke Augsburg – Schrobenhausen – Ingolstadt beinhaltet diese Vorlage nicht. Im Mittelpunkt der Beratungen steht der Bau der Bahnstrecke München – Ingolstadt und ihre Weiterführung nach Nürnberg.
Nach dem Antrag von Pfarrer Dr. Anton Schmid sollte die Strecke München – Ingolstadt nicht über Pfaffenhofen führen, sondern von Dachau nach Schrobenhausen und weiter nach Ingolstadt.

Trotzdem sollte in der Sitzung, die am 21. September 1863 ab 16 Uhr im Landtagsgebäude in der Münchner Prannenstraße 20 stattfindet – das Maximilianeum gab es noch nicht, – das Projekt Paartalbahn eine Rolle spielen. Denn an der Sitzung nimmt auch der Schrobenhausener Stadtpfarrer Anton Schmid teil, der als frisch gewählter Landtagsabgeordneter den Wahlbezirk Schrobenhausen vertritt. Im Mittelpunkt der teils hitzigen Debatten steht der Bau der Bahnstrecke München – Ingolstadt und vor allem die Frage, wie diese über die Fränkische Alb nach Nürnberg weiterzuführen sei. Ob nun über Eichstätt, wie damals beschlossen, oder auf direkten Weg, wie die heutige Hochgeschwindigkeitsstrecke Ingolstadt – Nürnberg, deren Trassenführung eine ganze Reihe von Abgeordneten schon damals bevorzugt hätte, ist nicht Gegenstand von Schmids Überlegungen. Vielmehr geht es ihm in seinem “Modifikationsantrag” um etwas ganz anderes. Doch lassen wir ihn selbst sprechen. Laut dem stenographischen Landtagsprotokoll eröffnet Stadtpfarrer Schmid seine Rede:

“Meine Herren! Ich habe mir die Freiheit genommen, eine Modifikation zu der Linie München – Ingolstadt diesem hohen Hause zu unterbreiten, dahin gehend, es möchte diese Linie statt nach Pfaffenhofen über Schrobenhausen direkt nach Ingolstadt geführt werden.”
Die folgende Argumentation ist nicht völlig ohne Widerspruch. Eingangs betont Stadtpfarrer Schmid, es gehe ihm keineswegs um rein lokale Interessen, denn durch eine gemeinsame Führung der Strecken von München und Augsburg ab Schrobenhausen bis Ingolstadt ließen sich über zwei Millionen Gulden sparen. Doch wenige Sätze legt er sich so richtig ins Zeug für Schrobenhausen:
„Ich will nicht davon sprechen, meine Herren, daß Schrobenhausen selbst ein sehr betriebsames, gewerbsames Städtchen ist, und daß, wenn es ganz und gar aus dem Eisenbahnverkehre ausgeschlossen wird, dasselbe ganz und gar seinem Ruine entgegengeht, denn Schrobenhausen lebt nur von Industrie, besitzt mehrere Fabriken, und hat seine Industrie, Gott sei Dank, so weit getrieben, daß man in mancher Provinzialstadt diese Höhe nicht findet.“
Und ein weiteres Argument bringt der Redner vor:
„Endlich würde uns diese Route noch das Donaumoos erschließen, jenes Donaumoos, für welches die Staatsregierung wenigstens in früherer Zeit so viele Millionen geopfert hat, und das auf weithin schätzbares Brennmaterial zu liefern im Stande ist.“
Dem gleichfalls „gewerbesamen Städtchen Pfaffenhofen“ wollte der Geistliche „durchaus nicht zu nahe treten“ und stellte „ihm früher oder später jedenfalls von Inderdorf oder Jetzendorf aus eine Zweigbahn“ in Aussicht.
War Schmids Vorschlag nun eine kurioser Einfall aus der Provinz, über den die Mitglieder des Hohen Hauses spöttisch lächelnd hinwegsahen? Keineswegs, denn als Joseph Pözl (1814-1881), der zweite Präsident der Kammer, die Frage stellt, ob der Antrag aus Schrobenhausen unterstützt werden solle, erhebt sich eine genügende Anzahl von Abgeordneten zustimmend von ihren Plätzen. Womit Schmids „Modifikation“ zwar nicht angenommen ist, aber es darf darüber diskutiert werden. Diese Diskussion leuchtet in der viele Stunden langen Debatte, die sich bis zum 24. September hinzieht immer wieder mal auf, ohne für den Gesamtverlauf besonders bedeutungsvoll zu sein. So kann etwa der Augsburger Abgeordnete Dr. Marquard Barth (1809-1885) der Idee von Pfarrer Schmid durchaus etwas abgewinnen.
„Ich komme nun zu einem anderen Redner, derselbe hat uns vorgeschlagen … den Weg über Schrobenhausen zu nehmen. Meine Herren! Ich bin sehr dafür, dass gegebenen Falles diese Modifikation des Herr Dr. Schmid angenommen werde und Sie dürfen nicht glauben, daß dieß aus Satyre geschieht, dazu bin ich zu gutmüthig. Man könnte sagen, wenn man einmal auf Schlangenlinien sich einläßt, kommt es auf ein Glied mehr oder weniger nicht an.“
Schließlich kommt es zur Abstimmung über verschiedene Varianten, aus der die direkte Linienführung München – Pfaffenhofen – Ingolstadt als Sieger hervorgeht. Anton Schmid Vorstoß hat sich erledigt.
Ob es dem Stadtpfarrer ein “Herzensanliegen“ war, ob er sich als örtlicher Landtagsabgeordneter dazu verpflichtet fühlte, ob er von Schrobenhausener Honoratioren dazu gedrängt wurde, diese Frage ruht im Dunkel der Vergangenheit. Sein Engagement war jedenfalls nicht ungewöhnlich: Geistliche, die sich für den Bahnbau einsetzen, dem örtlichen “Eisenbahn-Committe” angehörten oder ihm vorstanden, finden sich in der Eisenbahngeschichte Bayern im 19. Jahrhundert häufig. Sie zählten zur lokalen Elite.
Quellen und Literatur:
- Löwenstein, Theodor: Die bayerische Eisenbahnbaupolitik bis zum Eintritt Deutschlands in die Weltwirtschaft. 1825 bis 1890. In: Archiv für Eisenbahnwesen 1927 S. 881-925, 1285-1312, 1587-1639
- Mages, Emma: Eisenbahnbau, Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft in der südlichen Oberpfalz 1850 – 1920 (Regensburger historische Forschungen; Band Bd. 10), Kallmünz/Opf: Lassleben . 1984 – XLIV, 390 S. : Ill., graph. Darst., Kt., ISBN 978-3-7847-4010-2.
- Marggraff, Hugo: Die Kgl. Bayerischen Staatseisenbahnen in geschichtlicher und statistischer Beziehung. Gedenkschrift zum 50. Jahrestag der Inbetriebsetzung der ersten Staatsbahnstrecke Nuernberg-Bamberg am 1. Oktober 1844 (Kohlhammer Edition Eisenbahn), Stuttgart: Kohlhammer 1982 – 286 Seiten : Illustrationen, Karten , ISBN 978-3-17-007685-3 – Erw. Nachdr. d. Ausg. München 1894.
- Pittius, Hans-Joachim / Schuster, Anton: Die Paartalbahn. Seit 1875 mit dem Zug von Augsburg nach Ingolstadt, Schrobenhausen: Verlag Benedikt Bickel 2000 – 156 Seiten, 220 Abbildungen, ISBN 978-3-922803-52-2
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- Sauer, Andreas: „… daß bei Erbauung einer Eisenbahn die Stadt Pfaffenhofen in das Eisenbahnnetz aufzunehmen sei“. Der Eisenbahnbau und seine Auswirkungen auf die Stadtentwicklung (Pfaffenhofener Stadtgeschichte(n); Band 19), Pfaffenhofen a.d. Ilm: Stadt Pfaffenhofen a.d. Ilm . 2017 : 93 S.-zahlr. Ill. u. Kart. .
- Stark, Hans: Die 100jährige Geschichte der unteren Donautalbahn. Dampf, Öl, ein Schienenstrang, Abensberg: [Selbstverl. ?] . 1974 – 58 S. m. Abb. u. Taf.
- Verhandlungen der Kammer der Abgerodneten des Bayerischen Landtages im Jahre 1863. Stenographische Berichte Nr. 1-25. Von der I. Sitzung am 25. Juni 1863 bis zur XXV. Sitzung am 30. September 1863. I. Band, S. 402-403