Königsmoos – Geschichte einer Donaumoosgemeinde

  Blick über die Fluren der Gemeinde Königsmoos von Berg im Gau aus, im Hintergrund die Kirche St. Josef in Untermaxfeld

 

50 Jahre Königsmoos – im Jahr 1975 schlossen sich die Gemeinden Untermaxfeld, Ludwigsmoos und Klingsmoos zur Einheitsgemeinde „Königsmoos“ zusammen – durch einen fast einstimmigen Beschluss der Gemeindebürger. Königsmoos ist die einzige Gemeinde im Landkreis, die sich im Rahmen der Gebietsreform einen neuen Namen gegeben hat und damit auch ein „neueres Jubiläum“ feiern konnte. Wir  bringen hier die leicht überarbeitete Fassung einer vierteiligen Serie, die in der regionalen Presse erschienen ist.

 

Donaumoos – Trockenlegung und Besiedlung

Das Donaumoos (zur Unterscheidung vom Schwäbischen Donaumoos auch „Altbayerisches Donaumoos“ genannt) ist in vielerlei Hinsicht ein besonderer Landstrich. In alten Quellen wird es oft auch als „Schrobenhausener Moos“ bezeichnet, weil es vom Schrobenhausener Donaumooslehengericht verwaltet wurde. Bis zur Trockenlegung Ende des 18. Jahrhunderts war es ein weitgehend unzugänglicher Sumpf, es diente als Jagdrevier, Randbereiche des Mooses wurden von den Bauern der umliegenden Dörfer als Viehweiden und zur Gewinnung von oft minderwertigem Heu genutzt.

 

Schon steinzeitlich besiedelt

Bevor die Versumpfung begann – wir gehen rund 10.000 Jahre zurück – finden wir auf unserem Gebiet altsteinzeitliche Jagdstationen, wohl auch einfache Hütten. Tausende von Steinwerkzeugen fand man auch im westlichen Moos, auf dem Gebiet der Gemeinde Königsmoos. Die Funde stammen zumeist von einzelnen Sanddünen, die heute die Umgebung meist nur unmerklich überragen. Später – als die Vernässung zunahm und in der Jungsteinzeit die Sesshaftmachung begann – wurde das Donaumoos als Siedlungsgebiet aufgegeben, aber  auch weiterhin zur Jagd und zum Fischfang genutzt.

 

Trockenlegung und Kultivierung

Die neuere Kultivierung und Besiedlung des Donaumooses beginnt Ende des 18. Jahrhunderts und gilt als größte Neulandgewinnung in Bayern seit dem Mittelalter. Das Haupthindernis wurde erst mit dem Regierungsantritt des Kurfürsten Karl Theodor aus dem Weg geschafft, denn dieses Moorgebiet gehörte seit Beginn des 16. Jahrhunderts zu zwei verschiedenen Fürstentümern: zu den Herzogtümern bzw. Kurfürstentümern Pfalz-Neuburg und Bayern.

 

„Karte des trocken gelegten Donauer Mooses“ von Adrian von Riedl (Ausschnitt, 1804). Wir sehen hier Gebäude in Obermaxfeld, Rosing, Untermaxfeld und Stengelheim sowie die alte Grenze zwischen Pfalz-Neuburg und den „Baierischen Landen“, dem Kurfürstentum Bayern, die in dieser Form rund 300 Jahre bestand. (Bayerische Staatsbibliothek – gemeinfrei)

 

Nachdem Karl Theodor im Jahr 1777 die beiden wittelsbachischen Länder unter seiner Regentschaft vereinigte hatte – die Münchener Linie war männlicherseits ausgestorben – gab er bereits ein Jahr später den Auftrag, das Donaumoos zu vermessen sowie Vorschläge zu seiner Kultivierung vorzulegen. Die Entwässerung begann.

Die Besiedlung des Donaumooses begann im östlichen Teil im Jahr 1791 mit der Gründung von Karlskron und im mittleren Teil im Jahr 1795 mit der Gründung von Karlshuld. Im gleichen Jahr beginnt auch die Besiedlung des Gebiets der heutigen Gemeinde Königsmoos. Im Jahr 1795 lässt sich der Geometer Adrian von Riedl ein Gut bauen, für das er den Namen „Stengelshayn“ wählt, zu Ehren des Leiters der Donaumoos-Kulturkommission, Stephan Christian Freiherr von Stengel. Für seine Ansiedlung erhielt er auch Hofmarksgerechtigkeit. Im Jahr 1796 ließen sich einige Siedler in Rosing nieder.

Drei wichtige Persönlichkeiten für die Gemeinde:

Kurfürst Karl Theodor (1724-1799) – mit ihm hat die Kultivierung des Donaumooses begonnen. In Berg im Gau befindet sich ein Denkmal: von dieser Stelle aus hat der Kurfürst 1794 in Augenschein genommen, wie es um die Kultivierung des Donaumooses stand.

Johann Peter Kling  (1749-1808) – nach ihm wurde Klingsmoos benannt, um seine Verdienste zu würdigen

Max I. Joseph (1756-1825), Kurfürst und ab 1806 König von Bayern – Namensgeber für Ober- und Untermaxfeld

Bilder: gemeinfrei

 

Erste Protestanten im alten Bayern  

Größere Ansiedlungen entstehen erst, als sich 1802 Ansiedler in Untermaxfeld und Obermaxfeld niederlassen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren fast ausschließlich katholische Siedler im Donaumoos aufgenommen worden. Es war dem Kurfürsten und späteren König Max I. Joseph vorbehalten, in seinem altbayerischen Herrschaftsgebiet auch evangelischen Christen das Recht zur freien Niederlassung zu gewähren. Die Hochzeit des katholischen Kurfürsten mit der lutherischen Prinzessin Karoline von Baden im Jahr 1797 wird dabei sicher eine wichtige Rolle gespielt haben.

So ließen sich nun evangelisch-lutherische und evangelisch-reformierte Siedler aus der Pfalz im Donaumoos nieder und gründeten zusammen mit Katholiken die Kolonien Untermaxfeld und Obermaxfeld, benannt nach dem Kurfürsten, der ihnen die Ansiedlung ermöglicht hatte. In einem Verzeichnis von 1804 finden wir auf dem heutigen Gemeindegebiet von Königsmoos die Orte Untermaxfeld mit 31 Häusern und Obermaxfeld mit 23 Häusern.

 

Die Entstehung der drei Altgemeinden

Bei der Bildung der modernen politischen Gemeinden in Bayern im Jahr 1818 finden wir auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde zunächst nur die Gemeinde Untermaxfeld. Sie war weitläufig über das Donaumoos verteilt und umfasste die Dörfer Untermaxfeld und Obermaxfeld, die damals noch als Weiler bezeichneten Orte Grasheim, Hadersheim, Rosing, Zitzelsheim sowie die Einöden Brandheim, Grabmühl, Kehrheim und Kochheim. Eine Besonderheit bildete der östlich von Karlshuld gelegene Ort Neuschwetzingen. Da sich auch hier evangelische Siedler aus der Pfalz niedergelassen hatten, wurde der Ort als Exklave der Gemeinde Untermaxfeld einverleibt.

Nach Rückschlägen und Stillstand des Kulturwerks kommt es in den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts zu einer zweiten Siedlungsepoche. Im südwestlichen Teil des Gemeindegebiets entstehen die Kolonien Ludwigsfeld und Theresienfeld – nach König Ludwig I. und dessen Frau Therese benannt. Beide Ansiedlungen mussten auf Anordnung König Ludwigs I. umbenannt werden, die erste in Ludwigsmoos, um die Zugehörigkeit zum Donaumoos auszudrücken, die zweite in Klingsmoos, um die Verdienste Johann Peter von Klings für die Besiedlung des Donaumooses zu würdigen. Kling gilt einer der Pioniere der Donaumooskultivierung. Aus der Pfalz stammend, erwarb er 1796 in Probfeld – heute Gemeindegebiet Karlskron – landwirtschaftliche Flächen und machte dort vielfältige Kulturversuche, deren Ergebnisse er auch im Druck veröffentlichte. Im Jahr 1831 wurde Ludwigsmoos, im Jahr 1845 Klingsmoos zu einer selbstständigen Gemeinde erhoben.

 

Lutheraner, Reformierte, Katholiken

Fünf Kirchen, davon zwei protestantische – und das bei 5.000 Einwohnern. Das klingt rekordverdächtig. Dabei waren solche Bauvorhaben im Donaumoos schwierig – der Untergrund besteht aus Torf und bot keine ausreichende Fundamentierung. So entstanden oft schon nach kurzer Zeit Schäden, bis in die Gegenwart mussten Kirchen aufwändig saniert oder neu gebaut werden.

 

Kleine Siedlungen konnten sich zunächst keine Kirchen leisten. So ist überliefert, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts Gottesdienste auch in Scheunen oder Wohnungen abgehalten wurden. Das Bedürfnis nach Kirchenbauten nahm mit der zunehmenden Besiedlung zu. Die fünf Kirchen im Gemeindegebiet wurden im Laufe eines Jahrhunderts erbaut: die evangelisch-lutherischen Kirchen in Untermaxfeld im Jahr 1828, in Ludwigsmoos im Jahr 1868. Die katholischen Kirchen entstanden in Ludwigsmoos im Jahr 1835, in Untermaxfeld im Jahr 1866 und in Klingsmoos im Jahr 1922. Die finanziellen Mittel stammten zum größten Teil von den Gläubigen, die mit Hand- und Spanndiensten außerdem selbst umfangreiche Arbeitsleistungen beitrugen, sowie von Sammlungen und nicht zuletzt – auch wegen der großen Not der Donaumoosgemeinden – durch Zuschüsse des Königs bzw. des Staats.

 

Lutheraner und Reformierte

Zunächst wurden fast ausschließlich katholische Siedler im Donaumoos aufgenommen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewährte Kurfürst Max Joseph, der spätere König, auch nichtkatholischen Gläubigen die Ansässigmachung im Donaumoos – immerhin war er selbst mit einer lutherischen Prinzessin verheiratet. Die protestantischen Siedler ließen sich zunächst vor allem in Untermaxfeld nieder, sie kamen vor allem aus der Pfalz und aus der Gegend von Heidelberg. Eine protestantische Pfarrgemeinde wurde 1804 gegründet – sie sieht sich selbst als die älteste in Altbayern – daneben darf natürlich auch die Partnergemeinde Großkarolinenfeld nicht unerwähnt bleiben. Dort wurde  1822 die älteste protestantische Kirche Altbayerns errichtet, wenige Jahre danach im Jahr 1828 folgte die Kirche in Untermaxfeld. Hier war 1812 ein Betsaal im neu erbauten Pfarrhaus eingerichtet worden. Sie ist damit auch die älteste Kirche im Donaumoos überhaupt.

Zur Pfarrei Untermaxfeld gehörten zunächst alle evangelischen Gläubigen im Donaumoos, aber auch alle anderen Protestanten aus den Landgerichten Neuburg, Schrobenhausen, Aichach und Rain waren zunächst nach Untermaxfeld eingepfarrt.

In der Frühphase der Besiedlung Untermaxfelds ließen sich hier auch viele Siedler reformierten Glaubens aus der Pfalz nieder, erst später waren die mit lutherischem Glauben in der Mehrheit. Die neu erbaute Kirche wurde zunächst von beiden Konfessionen genutzt, der evangelisch-lutherische Pfarrer war verpflichtet, auf die Glaubensgrundsätze der reformierten Christen Rücksicht zu nehmen. Das ging nicht immer ohne Konflikte ab. Das änderte sich, als im Jahr 1848 in Marienheim bei Neuburg eine reformierte Pfarrei gegründet wurde und im Jahr 1857 dort die neu erbaute Kirche eingeweiht werden konnte. Von nun an waren auch alle Reformierten aus dem Donaumoos dorthin eingepfarrt.

Die Lutheraner in den neu gegründeten Gemeinden Ludwigsmoos und Klingsmoos waren zunächst in die protestantische Gemeinde Untermaxfeld eingepfarrt. Aufgrund der Zunahme der Bevölkerung entstand das Bedürfnis nach Eigenständigkeit. So wurde im Jahr 1867 ein eigenes Vikariat eingerichtet, im Jahr 1868 wurde die evangelisch-lutherische Kirche in Ludwigsmoos fertiggestellt. Großer Aufwand wurde für die Fundamentierung der Kirche betrieben: Sie wurde auf 196 Baumstämmen und einer über zwei Meter tiefen Grundmauer errichtet. 

 

Drei katholische Kirchen

Schwieriger gestalteten sich die Kirchenbauten der Katholiken im heutigen Gemeindegebiet. Sie waren zunächst nach Karlshuld eingepfarrt. Die älteste katholische Kirche St. Maximilian wurde im Jahr 1835 in Ludwigsmoos errichtet. Doch die Kirche war schon drei Jahren baufällig, so dass sie wieder abgerissen werden musste. Der zweite Bau wurde auf 180 Pfählen gegründet und 1841 vollendet und eingeweiht. Um 1900 erwies sich die Kirche als zu klein, so dass sie – bis auf das Presbyterium – neu erbaut und im Jahr 1912 neu eingeweiht wurde.

Schon seit Beginn der 1830er Jahre haben sich Bewohner der Gemeinde Untermaxfeld für den Bau einer katholischen Kirche stark gemacht. Verschiedene Standorte wurden diskutiert. Doch erst im Jahr 1861 wurde mit dem Kirchenbau begonnen, 1866 wurde die katholische Kirche St. Josef eingeweiht. Im Jahr 1979 wurden schwere Schäden an der Fundamentierung festgestellt. Zunächst wollte man den alten Bau von Grund auf renovieren, doch schließlich fiel der Beschluss für einen Neubau. Die neuerbaute Kirche, in die ein Teil der alten Ausstattung integriert wurde, wurde im Jahr 1988 eingeweiht.

 

Untermaxfeld – katholische Kirche St. Josef (um 1930)

 

Die Katholiken der Gemeinde Klingsmoos gehörten zunächst zur Pfarrei Ludwigsmoos. Die Bevölkerungszahl der Donaumoosgemeinden stieg im 19. Jahrhundert durch die Besiedlung ständig an, so dass auch in Klingsmoos das Bedürfnis nach einer eigenen Kirche entstand. Im Jahr 1896 wurde ein Kirchenbauverein gegründet. Der Bau konnte erst im Jahr 1922 fertiggestellt werden, aufgrund der zunächst noch fehlenden Innenausstattung konnte die Kirche St. Josef jedoch erst 1931 eingeweiht werden. Im Jahr 1961 wurde der als Dachreiter gestaltete kleine Turm durch einen Turmneubau ersetzt. Im Jahr 1971 wurden so massive Schäden am Kirchenschiff festgestellt, dass schließlich ein Neubau in Betracht gezogen wurde. Er wurde im Jahr 1980 eingeweiht, nur der Turm wurde von der Vorgängerkirche übernommen.

 

www.paardon.de plant, attraktive aktuelle Bilder von der Gemeinde zur freien Nutzung unter unserer Rubrik „Fotopedia“ einzustellen, vielleicht Ende Oktober. Aktuelle Infos dann auch hier. 

 

Viele Besonderheiten: Torf, Kalkbrennerei, Schifffahrt

Die Entwicklung der Gemeinde weist viele Besonderheiten auf. Da die Besiedlung ja erst im Gange war, konnte sich die Bevölkerungszahl von 1840 bis 1900 verdoppeln, während andere Gemeinden stagnierten. Besondere Erwerbszweige neben der Landwirtschaft waren die Torfstecherei, aber auch die Kalkbrennerei. Immer wieder problematisch: die Teilung des Gebiets zwischen den Landgerichten, später Landkreisen Neuburg und Schrobenhausen.

 

Geteilt zwischen Neuburg und Schrobenhausen

Seit dem 16. Jahrhundert war die Grenze zwischen dem Landgericht Schrobenhausen und damit dem Kurfürstentum Bayern und dem Landgericht Neuburg und damit dem Herzogtum Pfalz-Neuburg durch das heutige Gemeindegebiet verlaufen. Im Zuge der neuen Landgerichtsorganisation kamen im Jahr 1808 das gesamte Gebiet des Donaumooses und damit auch alle Ortsteile der im Entstehen begriffenen Gemeinden des heutigen Königsmoos zum Landgericht Neuburg. Damit gehörten alle Orte zunächst zum Oberdonaukreis, dem Vorläufer des Regierungsbezirks Schwaben, und seit 1838 zum Kreis Schwaben und Neuburg.

Die Zuweisung des ganzen Donaumooses zum Landgericht Neuburg führte dazu, dass Moosflächen der in den umliegenden Gerichtsbezirken liegenden Gemeinden im Neuburger Gerichtsbezirk lagen. Dem Wunsch dieser Gemeinden entsprechend wurden in den Jahren 1855 bis 1860 einige südliche und westliche Teile den umliegenden Gemeinden zugeteilt: so kamen zum Beispiel Obergrasheim und der südliche Teil von Stengelheim zu Berg im Gau, der südliche Teil von Ludwigsmoos zu Langenmosen, der südliche Teil von Klingsmoos zu Sandizell, alle damit zum Landgericht Schrobenhausen und zum Kreis bzw. Regierungsbezirk Oberbayern.

Als im Jahr 1862 Justiz und Verwaltung in Bayern getrennt wurden, lagen so Teile der heutigen Gemeinde im Gebiet des Bezirksamts Schrobenhausen, der nördliche und größere Teil im Bezirksamt Neuburg. Im Jahr 1939 wurden die Bezirksämter in Landkreise umbenannt.

Alte Grenzen zwischen den Landkreisen Neuburg und Schrobenhausen (um 1935)

Schifffahrt auf der Ach

Die Ach ist ein kleines Flüsschen, das bei Mandlach südwestlich von Pöttmes entspringt und die Gemeinde Königsmoos durchfließt. Im heutigen Bereich der Achhäuser betrieb sie die Kehrmühle, auf die sich auch der Straßenname „Kehrhofstraße“ bezieht. Sie wird ab der Ingolstädter Stadtgrenze Sandrach genannt und mündet nördlich von Manching in die Paar. Da die Straßenverhältnisse im Donaumoos schlecht waren, war der Transport schwerer Lasten ein mühsames Unterfangen. So entstanden bereits um 1830 Pläne, die Ach im Donaumoos schiffbar zu machen. Auf Vorschlag von Generalstraßenbaudirektor Pechmann wurden zu Versuchszwecken drei leichte Kähne zusammengenagelt, aneinandergehängt, mit 250 Zentnern Kies beladen und von zwei Pferden über die Ach bis an die Grabmühle gezogen. Dieser erfolgreiche Versuch führte zum Vorschlag, weitere Kanäle schiffbar zu machen: zum Beispiel den Zeller Kanal, verschiedene Erdweggräben bei Berg im Gau, Brunnen und den Schornreuter Kanal. Sehr interessante Themen, die noch nicht abschließend erforscht sind.

 

Torfstich  und Kalkbrennerei

Man versuchte, die in der frühen Besiedlung des Donaumooses gemachten Fehler zu vermeiden, machte den Siedlern zur Auflage, deutlich größere Gründe zu erwerben, bei der Auswahl der Siedler legte man strengere Maßstäbe an. Die erworbenen Gründe sollten frei von grundherrlichen Abgaben sowie von Zehentlasten sein, außerdem für zehn Jahre steuerfrei. So konnten schlimme Auswirkungen wie in anderen Donaumoosgemeinden wie unvorstellbare Armut und damit zusammenhängende Kriminalität vermieden werden. Trotzdem versuchten die meisten Siedler, sich mit Nebenerwerb zusätzliche Einkünfte zu verschaffen. Der Torfstich war auch hier weit verbreitet. Er diente der Eigenversorgung, anderes Heizmaterial war extrem rar, Torf wurde aber auch in die umliegenden Städte Neuburg und Schrobenhausen, bis Ingolstadt, Augsburg oder Dachau verkauft. Die erste Dampfmaschine der Papierfabrik Leinfelder in Schrobenhausen wurde mit Torf betrieben.

 

Torfrixe in Obergrasheim (um 1940, aus dem Familienalbum des Autors)

 

Die Korbmacherei war hier – im Vergleich zu den Gemeinden Karlskron und Karlshuld – weniger verbreitet. Als Sondergewerbe entwickelte sich im Gemeindegebiet seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Kalkbrennerei. So sind um 1900 in Klingsmoos 25, in Ludwigsmoos 12 Kalköfen in Betrieb. Sie bezogen ihren Rohstoff aus den kalksteinreichen Ausläufern des Fränkischen Jura südlich der Donau und verkauften ihre Ware im engeren und weiteren Umkreis.

 

Die Gemeinden um 1900

Im Jahr 1900 zählt die Gemeinde Untermaxfeld 198 Wohngebäude und 1.059 Einwohner, davon 406 Katholiken und 580 Protestanten. Untermaxfeld ist zu dieser Zeit die einzige auf heutigem Landkreisgebiet gelegene Gemeinde mit protestantischer Bevölkerungsmehrheit. Zur Gemeinde Untermaxfeld gehören damals das Pfarrdorf Untermaxfeld mit 340 Einwohnern, die Dörfer Stengelheim mit 188, Obermaxfeld mit 209 sowie Neuschwetzingen mit 228 Einwohnern sowie die Weiler Rosing mit 58, Kochheim mit 24 und Zitzelsheim mit 12 Einwohnern. Die Gemeinde Ludwigsmoos besteht aus 83 Wohngebäuden mit 472 Einwohnern, davon 319 Katholiken, 149 Protestanten. Die Gemeinde umfasst das Pfarrdorf Ludwigsmoos mit 457 sowie die Einöde Grabmühle mit 15 Einwohnern. Die Gemeinde Klingsmoos besteht nur aus dem Pfarrdorf Klingsmoos, hat 77 Wohngebäude und 432 Einwohner vorzuweisen, davon 352 Katholiken und 65 Protestanten.

 

Ludwigsmoos mit Kirche St. Maximilian, Birken und Entwässerungsgraben (um 1930)

 

Umbrüche im 20. Jahrhundert

Die Entwicklung der Gemeinden im 20. Jahrhundert spiegelt die allgemeine deutsche Geschichte: Erster Weltkrieg mit vielen Kriegstoten, am Ende des Krieges die Novemberrevolution 1918, die zur Weimarer Demokratie führt. Die demokratische Entwicklung erreicht auch die Gemeinden: zum ersten Mal dürfen alle wählen, auch unabhängig von einer Steuerzahlung, zum ersten Mal sind auch Frauen wahlberechtigt. Die galoppierende Inflation 1923 und die Weltwirtschaftskrise 1929 hinterlassen auch in den Donaumoosgemeinden tiefe Spuren. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 sitzen nur noch Parteimitglieder oder doch parteihörige Bürger im Gemeinderat. Der Zweite Weltkrieg fordert viele Opfer, doch es gibt keine Zerstörungen wie in den Großstädten.

Nach dem Kriegsende gibt es wieder freie Wahlen. Ab 1946 gab es auch in Königsmoos Bevölkerungszuwachs durch Flüchtlinge und Heimatvertriebene, allerdings weniger stark ausgeprägt als in umliegenden Städten. Da die Erwerbsmöglichkeiten im Donaumoos begrenzt waren, zogen die meisten Flüchtlinge wieder weg.

 

Gebietsreform – drei Gemeinden schließen sich zusammen

Spätestens seit Mitte der 1960er Jahren wirft die Gebietsreform ihre Schatten voraus. Zum einen soll die Zahl der Landkreise in Bayern reduziert werden. Im Jahr 1972 werden die Landkreise Neuburg und Schrobenhausen zusammengelegt und damit alle Gebiete des Donaumooses in einem Landkreis vereinigt. Mit dem Landkreis Neuburg kommen auch die drei Königsmooser Gemeinden von Schwaben zu Oberbayern.

 

Drängend war auch die Bildung größerer Gemeinden, um eine leistungsfähigere Verwaltung zu gewährleisten. Heute kaum mehr vorstellbar: Malzhausen als kleinste Gemeinde im Landkreis Schrobenhausen hatte im Jahr 1967 nur 142 Einwohner, Unterpeiching im Landkreis Neuburg gar nur 92.

Die Gemeindegebietsreform in den 1970er Jahren brachte grundlegende Veränderungen auch für die drei westlichen Donaumoosgemeinden. Schon im Jahre 1970 war nach langen Diskussionen der Untermaxfelder Ortsteil Neuschwetzingen in die Gemeinde Karlshuld eingemeindet worden. Die Diskussion um eine Gemeindeneubildung zog sich hin. Auch über den Namen der neuen Gemeinde herrschte zunächst keine Einigkeit. Der Vorschlag, die neu zu bildende Gemeinde „Königsmoos“ zu nennen, kam von Dr. Josef Heider (1904-1982).

„Königsmoos“ sollte die neue Gemeinde heißen, weil das Moos ursprünglich Königsgut gewesen und außerdem die Gründung der Gemeinden dem Kurfürsten und späteren König Max I. Joseph und König Ludwig I. zu verdanken gewesen sei. Heider leitete beinahe ein Vierteljahrhundert das Staatsarchiv Neuburg, das für den Regierungsbezirk Schwaben zuständig war und das im Jahr 1989 nach Augsburg verlegt wurde. Eine ebenso lange Zeit war er Vorstand des Historischen Vereins Neuburg, außerdem Kreisheimatpfleger. Er hatte ein umfassendes Wissen über die Geschichte des Landkreises Neuburg und seiner Gemeinden, seine zahlreichen Veröffentlichungen reichen aber weit in den schwäbischen Raum hinein.

Das Bürgervotum im Jahr 1975 brachte ein fast einstimmiges Ergebnis für den Zusammenschluss der Gemeinden Untermaxfeld, Ludwigsmoos und Klingsmoos, bezüglich des Ortsnamens „Königsmoos“ gab es nur wenige Gegenstimmen.

Im Rahmen einer Arrondierung des Gemeindegebiets erhielt die neue Gemeinde in den folgenden Jahren auch die im Donaumoos gelegenen besiedelten Orte und Weiler der umliegenden Gemeinden zugeteilt, so von den Gemeinden Langenmosen, Wagenhofen, Walda, Hollenbach, Dinkelshausen und Oberhausen, Rohrenfels, Berg im Gau und vom Markt Pöttmes.

 

Königsmoos erhält ein Wappen

Im Jahr 1980 nimmt Königsmoos ein Wappen an. Die bayerische Königskrone symbolisiert die engen historischen Beziehungen der Gemeindeteile zum bayerischen Königshaus. Unter- und Obermaxfeld haben sich nach dem Kurfürsten und späteren König Maximilian I. Joseph benannt, Ludwigsmoos nach König Ludwig I. Der Balken und die Leiste versinnbildlichen die Straßen und Kanäle, die das Donaumoos als Siedlungsgebiet erschlossen, die Feldfarbe Schwarz symbolisiert die dunkle Erde, die dunklen Moosgründe, auf denen die neuen Siedlungen entstanden sind.

 

Wappen der Gemeinde Königsmoos

 

Gemeinde Königsmoos heute

Die Gemeinde konnte auch im 20. Jahrhundert ihre Einwohnerzahl stetig steigern. Die Bevölkerungszunahme nach dem Zweiten Weltkrieg durch Flüchtlinge und Heimatvertriebene fiel hier weniger stark aus als in anderen Gemeinden. Seit der Gebietsreform stieg die Einwohnerzahl der Gemeinde stark an, nämlich um rund 60 Prozent. Günstiger Baugrund, die Ausweisung von Baugebieten und eine zentrale Lage im Landkreis zwischen den beiden Städten Neuburg und Schrobenhausen spielen für die Wohnortwahl eine große Rolle. Viele neue Gewerbebetriebe haben sich angesiedelt, doch finden die meisten Arbeit in Neuburg, Schrobenhausen oder Ingolstadt.

 

Gemeindeteile 

Achhäuser, Klingsmoos, Ludwigsmoos, Obergrasheim, Obermaxfeld, Rosing und Zitzelsheim, Stengelheim, Untermaxfeld

 

Partnerschaften mit gemeinsamen Wurzeln

Die Gemeinde Königsmoos hat zwei Gemeindepartnerschaften geschlossen, die mit der Geschichte der Gemeinde eng zusammenhängen. Seit 2001 besteht eine Partnerschaft mit Großkarolinenfeld bei Rosenheim. Untermaxfeld und Großkarolinenfeld wurden zur gleichen Zeit besiedelt, die Siedler stammten aus der Pfalz und aus der Gegend von Heidelberg. Die beiden evangelisch-lutherischen Pfarreien sind die ältesten in Altbayern, die Ortsnamen stammen vom bayerischen Kurfürsten- bzw. Königspaar: Unter- und Obermaxfeld von Max I. Joseph, Großkarolinenfeld von dessen Ehefrau Karoline. Seit 2002 bestand ein reger Kontakt mit Hergenfeld (Rheinland-Pfalz), dem Geburtsort Johann Peter von Klings, der sich um die Besiedlung des Donaumooses verdient gemacht hatte und dem der Gemeindeteil Klingsmoos seinen Namen verdankt. Im Oktober 2010 wurde eine Partnerschaft zwischen den Gemeinden Hergenfeld und Königsmoos offiziell besiegelt.

 

 

Bevölkerungsentwicklung

 (nach heutigem Gebietsstand)

 

Der Donaumoospegel und die Moorsackung

In Ludwigsmoos (Ludwigstraße 88) befindet sich der so genannte Donaumoospegel, ein Eichenpfahl, inzwischen auf einem Stahlfundament, der die Moorsackung seit 1836 anzeigen soll. Rund 3 Meter hat das Donaumoos in dieser Zeit an Höhe verloren. Ein Teil davon ist auf den Torfstich zurückzuführen, ein anderer Teil durch die natürliche „Zersetzung“ des rein organischen Boden. Derzeit beträgt die Sackung 1 bis 2 cm im Jahr. Lösungen werden diskutiert, der Donaumoos-Zweckverband leistet hier wertvolle Arbeit. Neben teilweiser Wiedervernässung sind vor allem andere landwirtschaftliche Bewirtschaftungen im Gespräch. Das Thema ist sehr komplex, die Landkreispresse berichtet immer wieder von den Diskussionen. Viele wichtige Informationen dazu gibt es unter der Webadresse www.donaumoos-zweckverband.de.

Donaumoospegel in Ludwigsmoos 

 

Literatur und Quellen

Johann Kober / Auguste Schmid: Gemeinde Königsmoos. Jubiläumsfestschrift, Königsmoos 1995 (Gemeinde Königsmoos)

Kirchen im Donaumoos, Karlshuld 1987 (Reihe ’s Moos, Kulturhistorischer Verein Donaumoos)

Eigene Recherchen in kommunalen und staatlichen Archiven (vor allem Staatsarchiv Augsburg)

Eigene Recherchen in digitalisierten Druckwerken (z. B. über Google Books, Bavarikon, HathiTrust)

 

Fotos (soweit nicht anders vermerkt): Max Direktor

 

 

 




Von der Kupferschmiede zur Weltfirma – die Geschichte der Firma BAUER in Schrobenhausen

Werkstatt von Kupferschmied Bauer um 1930

Industriegeschichte fristet oft ein Schattendasein in der regionalen Geschichtsschreibung – völlig zu unrecht. Denn erst die Industrialisierung ermöglichte unseren heutigen Lebensstandard. Und die Industrialisierung fand nicht nur in großen Zentren statt. Beispielhaft ist die Geschichte der Firma BAUER, die sich in mehr als 200 Jahren von einer kleinen Schrobenhausener Kupferschmiede  zu einer Weltfirma entwickelte.

Wir präsentieren – in Zusammenarbeit mit der BAUER AG – im Folgenden die Firmengeschichte BAUER – Geschichte und Geschichten aus dem Jahr 2018 (Link siehe unten).

Einige Meilensteine der Firmengeschichte, die neugierig machen sollen:

  • 1790 Der Kupferschmied Sebastian Bauer aus Deggendorf erwirbt eine Kupferschmiede in Schrobenhausen und legt damit den Grundstein für das Unternehmen. Kupferschmiede stellen zu dieser Zeit zum Beispiel her: Gebrauchsgegenstände für den täglichen Bedarf, Pfannen, Töpfe, Kannen, Leuchter, Zubehör für Bierbrauer, Färber und Seifensieder; sie sind aber auch im Bereich hochwertiger Dachdeckungen tätig.
  • 1902  Andreas Bauer bohrt einen artesischen Brunnen: das ist ein Brunnen, aus dem Wasser nach dem Anbohren von selbst austritt. Weitere artesische Brunnen folgen.
  • 1928  Das bisher größte Projekt der Firma: der Bau der Schrobenhausener Hochdruckwasserleitung.
  • 1952  Dipl.Ing. Karlheinz Bauer übernimmt die Firma, die Ära des Spezialtiefbaus beginnt – und damit ein steiler Aufstieg des Unternehmens.
  • 1958  Erfindung des Injektionszugankers, ein wichtiger technologischer Durchbruch, der patentiert wurde.
  • 1969  Beginn des Maschinenbaus mit dem ersten Ankerbohrgerät.
  • 1976  Herstellung des ersten Drehbohrgeräts BG 7.
  • 1986  Übernahme der Geschäftsführung durch Thomas Bauer und Ausbau der Internationalisierung.
  • 1994  Gründung der BAUER Aktiengesellschaft als Holding.
  • 2006  Börsengang der BAUER AG.

Heute sieht sich die Firma BAUER in Verbindung mit den schwierigsten und größten Gründungsaufgaben der Welt, auch in der Umwelttechnik hat sich BAUER einen Namen gemacht. Die BAUER-Gruppe verzeichnete mit all ihren weltweiten Tochterfirmen im Jahr 2023 mit etwa 12.000 Mitarbeitern einen Gesamtumsatz von 1,8 Milliarden Euro.

Die von Franz Josef Mayer verfasste Firmengeschichte „BAUER – Geschichte und Geschichten“ (292 Seiten, Großformat, 38 MB) finden Sie hier

Eine Kurzfassung der Firmengeschichte finden Sie hier

Die „Urverträge“ der Kupferschmiede befinden sich übrigens im Sammlungsbestand des Schrobenhausener Stadtarchivs (siehe auch Abb. auf Seite 22 des Buches).

 

Bauer - Geschichte und Geschichten

Bauer – Geschichte und Geschichten

 

Die beliebte und informative Firmenzeitschrift BOHRPUNKT gibt es auch digital. Sie spiegelt die Firmengeschichte anhand von zahllosen Beispielen. Die digitalen Ausgaben ab 2018 finden Sie auf der Homepage der BAUER AG, nämlich hier  

 




Neuburg – von der Residenzstadt zur bürgerlichen Stadt 1750-1850

Neuburg an der Donau um 1830-1850

Quelle: Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12386275

 

Neuburg – von der Residenzstadt zur bürgerlichen Stadt 1750-1850

Neuburg war seit der Gründung des Herzogtums Pfalz-Neuburg im Jahr 1505 zunächst Residenz- und Hauptstadt, später nur noch zeitweise Residenz, Nebenresidenz oder Witwensitz. Es gibt bisher keine ausführliche Untersuchung, wie sich das Bürgertum in Neuburg neben dem vor allem auf dem Stadtberg dominierenden höfischen Leben, dem Adel und den Hofbeamten entwickeln konnte. Dr. Thomas Götz, Historiker an der Universität Regensburg, hat dazu einen ausführlichen Artikel verfasst, den wir mit seiner Zustimmung hier als PDF-Datei präsentieren wollen:

 

 

 „Geist des Absolutismus“

Im Jahr 1905 reist der liberale badische Priester und Schriftsteller Heinrich Hansjakob durch Bayern und macht auch in Neuburg Halt. In seinen Reiseerinnerungen „Sonnige Tage“ schildert er seine Eindrücke: Die Stadt sei die sauberste, eleganteste, aber auch langweiligste der bisher besuchten Donaustädte. Er kommt zum Schluss: „Wenn man in Neuburg oben die brutale Zwingburg und unten die zahme, regelmäßige, zugestutzte Stadt sieht, so meint man, der böse Geist des Absolutismus, der auf der Burg einst herrschte, lasse jetzt noch unten keinen heiteren Sinn und kein Leben aufkommen und habe sich als Gespenst der Langeweile über das heutige Neuburg gelagert.“

Thomas Götz nimmt diese Schilderungen zum Anlass, der Geschichte des Neuburger Bürgertums nachzuspüren, insbesondere wie die nahe Residenz die bürgerliche Entwicklung beeinflusst hat. Städte – nicht nur Reichsstädte – waren ja stolz auf ihre Stadtrechte, ihre eigenständige Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Die Stadt Neuburg muss in diesem Fall als „Zwitter“ gesehen werden: einerseits war sie „Residenzstadt“ des Fürstentums Pfalz-Neuburg, auch als Nebenresidenz und Witwensitz herrschte immer noch höfisches Leben in der Stadt – bis ins 19. Jahrhundert. Andererseits die „Bürgerstadt“: das Selbstbewusstsein des Bürgertums scheint unterdurchschnittlich ausgeprägt zu sein, der Einfluss der nahen Fürsten, Hofverwaltung auf städtische Entscheidungen nicht unerheblich.

Diese spezielle Prägung des Bürgertums ist bis ins 20. Jahrhundert, ja bis heute spürbar. Bis heute gibt kaum Publikationen über das Neuburger Stadtrecht, obwohl Neuburg zu den ältesten Städten Bayerns zählt. So spricht die Homepage der Stadt von ihrer „Blütezeit“ zur Zeit des Fürstentums, so feiert die Stadt Neuburg kein „Bürgerfest“, sondern ein „Schlossfest“.

Über Heinrich Hansjakob gibt es einen sehr interessanten und ausführlichen Artikel bei Wikipedia hier.

 

Der Aufsatz bei uns als PDF

Mehr wollen wir nicht verraten. Wir präsentieren hier den Aufsatz von Thomas Götz, unseres Wissens der erste, der sich mit dieser Thematik aus diesem Blickwinkel befasst. Wir danken dem Autor für seine Zustimmung, den Aufsatz auf unserer Homepage präsentieren zu dürfen. Der Aufsatz ist im Jahr 2009 in der Zeitschrift „Die Alte Stadt“ erschienen, der Verlag hat sich in „Forum Stadt Verlag“ umbenannt. Wir bedanken uns auch ganz herzlich für die Zustimmung des Verlags zur Präsentation als PDF.

Den Aufsatz finden Sie als PDF hier.

 

Kurzbiografie von Dr. Thomas Götz

1965 geboren, 1986-1992 Studium in München und Siena, Promotion über Bürgertum und Liberalismus in Tirol im 19. Jahrhundert. Seit 2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Europäische Geschichte in Regensburg. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind vor allem neuzeitliche Stadt- und Umweltgeschichte. Thomas Götz ist Herausgeber der „kleinen bayerischen biografien“ und der „kleinen münchner geschichten“ für den Pustet Verlag in Regensburg. Letzte Buchveröffentlichung: Die bayerische Stadt – vom 19. ins 21. Jahrhundert. Ein Essay, Regensburg 2019.

 

Kleine Neuburger Stadtgeschichte

Thomas Götz lebte von 2010 bis 2018 in Neuburg und hat für die im Pustet Verlag erschienene „Kleine Stadtgeschichte“ Neuburgs das Kapitel „Der lange Weg in die Kleinstadt-Moderne. Neuburg im Jahrhundert des Bürgertums 1800-1914“ verfasst. In gewisser Weise kann man dieses Kapitel als Fortsetzung des hier präsentierten Aufsatzes sehen.

 

Thomas Götz, Markus Nadler, Marcus Prell, Barbara Zeitelhack: Neuburg an der Donau. Kleine Stadtgeschichte, Regensburg 2022 (2. aktualisierte Auflage, Verlag Friedrich Pustet, im Buchhandel erhältlich für 16,95 Euro)

Das Inhaltsverzeichnis des Bandes finden Sie hier.

 

Verlag „Die Alte Stadt“

Der Verlag wurde inzwischen in „Forum Stadt Verlag“ umbenannt und hat alle Jahrgänge seiner Zeitschrift von 1974 bis 2016 freigeschaltet. Sie können gelesen und heruntergeladen werden unter

Startseite – Forum Stadt Verlag

Wir möchten diese Seite allen historisch Interessierten empfehlen, wir finden hier Beiträge über deutsche und europäische Städte sowie Städte der ganzen Welt.

 

Max Direktor

 

 

 

 

 

 

 

 




Vom Maß aller Dinge – alte Maße und Gewichte in Baiern

 

 


Hans-Georg Hofmann

Vom Maß aller Dinge – alte Maße und Gewichte in Baiern1

Mit lokalen und regionalen Beispielen und Bildern von Exponaten aus dem Schrobenhausener Stadtmuseum


Maß, Größe, welche zur Vergleichung mit andern gleichartigen Größen als Einheit angenommen wird“

Mit diesen nüchternen Worten beschreibt ein „Lexikon der gesamten Technik“ vom Anfang des 20. Jahrhunderts (im Literaturverzeichnis siehe Lueger) den Sinn und den Gebrauch von Maßen (und Gewichten) und den Vorgang des Messens als „Vergleichung“.

Was Menschen im Alltag am häufigsten vergleichen wollen, ist die Größe von Dingen: die Breite des Esstisches, die Höhe der Garageneinfahrt im Vergleich zur Höhe des Autos, die Rahmenhöhe des Fahrrades, der Durchmesser der Kugelschreiber-Mine. Entsprechende Messmittel wie Rollmaß, Meterstab, Schieblehre sind heute verbreitet und allgemein verfügbar. Sie basieren alle auf dem Meter, der internationalen Maßeinheit für Länge, Breite, Höhe.

 

Längenmaße

Früher wurden Längenmaße vom menschlichen Körper abgeleitet: Schuh oder Fuß, Elle – die Länge des Unterarmes, Klafter – der Abstand der Hände bei waagerecht ausgestreckten Armen. So trug jeder Mensch sein eigenes Maßsystem mit sich herum.

Das war natürlich für den Zweck des Messens nicht brauchbar. Deshalb wurden sogenannte Normale geschaffen: Für den Geltungsbereich einer Stadt oder einer Anzahl von Orten, die zu einem Kloster oder einer Hofmark gehörten, verbindlich vereinbarte Größen der gängigsten Maße. So war in einem begrenzten öffentlichen Bereich die Verbindlichkeit und Vergleichbarkeit des Messens gewährleistet. Dass aber das Messwesen in Pfaffenhofen und in Schrobenhausen übereinstimmte, davon konnte man nicht ausgehen.

Die Normale, das heißt ihre greifbaren Verkörperungen mussten den Bürgern zugänglich gemacht werden. In Regensburg befinden sich die Normale noch heute an der Außenwand des Alten Rathauses. Häufig wurden Normale an Kirchen oder anderen allgemein bekannten und gut zugänglichen Orten angebracht. In vielen Markthallen befanden sich Normale für die Getreidemaße.

 

Altes Rathaus in Regensburg: „der stat schuch / der stat öln / u. der stat klafter“

 

Zollstock 1801 (Schrobenhausener Stadtmuseum)
Man erkennt die Einteilung in Halb- und Viertel-Zoll

 

Der Tischler hatte einen Zollstock, bei dem der Schuh noch weiter unterteilt war in zwölf Zoll, und der auch Markierungen für Halb- und Viertel-Zoll zeigte. Damit konnte er das Material für den neuen Küchenkasten seines Nachbarn so zuschneiden, dass dieser genau in die Nische passte, die er vorher ebenfalls mit seinem Zollstock ausgemessen hatte. Und der Zimmermann konnte sicher sein, dass die Balken, die er nach Klaftern, Ellen und Zoll beim Sägewerk bestellt hatte, sich zu einem neuen Dachstuhl fügen ließen. Aber: Das war nur dann der Fall, wenn das Sägewerk die gleichen Maße benutzte, wie der Zimmermann, was durchaus nicht selbstverständlich war. Die Uneinheitlichkeit des Messwesens verursachte Ärgernisse, die sich bis in den privaten Bereich der Bürger auswirkten: Der Tischler konnte nicht sicher sein, dass der Schrobenhausener Küchenkasten auch in die Nische in Pfaffenhofen passte.

Eine weitere Längeneinheit war die Rute, die vor allem zur Messung der Länge und Breite von Grundstücken benutzt, in Baiern jedoch hauptsächlich bei der Landesvermessung verwendet wurde. Die Rute war an den Schuh angeschlossen. Sie hatte – abhängig von Ort und Zeit – 10, 12 oder 14 Schuh und zeigte also die von den anderen Längenmaßen her bekannte Vielfalt.

Der Nachteil dieser regionalen Unterschiede für das Wirtschaftsleben wurde von der Obrigkeit früh erkannt. Schmeller (2) zitiert aus dem Jahre 1616, zur Regierungszeit von Herzog Maximilian I.: „Dieweil allberait Ao 1553 die Eln auff die Landshueter Eln gericht worden, so ist unser Mainung, daß bemelte Landshueter Eln in unsern Fürstenthumb allain und kein ander gebraucht werde.“ Ob diese frühe Standardisierung allgemeine Beachtung fand, ist nicht bekannt.

Durch königliche Verordnung vom 28. Februar 1809 wurden in Bayern die Größenverhältnisse zwischen den Längenmaßen vereinheitlicht: Die Elle hatte 2 Schuh und 10 ¼ Zoll, der Klafter 6 Schuh, die Rute 10 Schuh.

Bei der Einführung des metrischen Maßsystems im Deutschen Reich 1872 wurde der (Bayerische) Zoll zu 2.432 cm, der Schuh zu 29,186 cm, die Elle zu 83,31 cm umgerechnet.

Bei den Entfernungen zwischen Ortschaften hat man es weniger genau genommen. Es genügte zu wissen, dass man von Schrobenhausen nach Aresing etwa eine Stunde fuhr und nach Aichach vier Stunden.

Die Stunde, wie heute der vierundzwanzigste Teil des Tages, wurde durch die Kirchenglocken oder, falls vorhanden, die Kirchturmuhr vorgegeben und war sicher keine genaue Zeitangabe.

Schmeller schreibt dazu: „Den Weg nach Meilen zu zählen, ist in Alt Baiern ganz unvolksmäßig. Man rechnet ihn … nach Stunden, d. h. so viel ein rüstiger Fußgänger in einer Stunde zurücklegt, was in der Regel eine halbe deutsche Meile ausmacht.“

Die deutsche Meile entsprach etwa 7500 m; außerdem kannte man die Postmeile zu 8600 m. Die bairische Meile maß etwa 7400 m.

 

Stundensäule aus München (Sandstein, um 1800) – Stadtmuseum München

Stundensäulen waren Entfernungsanzeiger für Reisende. Sie standen an den Ausfallstraßen und markierten die Einheit „Stunde“, die früher nicht nur ein Maß der Zeit, sondern auch eine Entfernungsangabe war. Eine geographische Stunde entsprach einer halben deutschen Meile oder 12.703 „baierischen Schuh“, das sind etwa 3,7 Kilometer. In diesem Verständnis bezeichnete die Säule die Strecke einer Gehstunde zur Stadtmitte. 

 

Feldmaße

Landwirtschaftliche Flächen waren nicht nur Produktionsmittel, sondern auch Handelsgüter: Sie wurden gekauft und verkauft, verpfändet, beliehen und versetzt.

In einer Urkunde vom 29. September 1491 (3), mit der ein Landwirt ein Darlehen aufnimmt und dafür jährlich den Ertrag von zwei Äckern entrichtet, heißt es: „… wir dürfen von den vorgenannten zwei Äckern nichts verbumbern, versetzen oder verkaufen.“ („Verbumbern“ bedeutet „auf Pump erwerben bzw. verkaufen“.) Er durfte also den Marktwert des als Sicherheit eingesetzten Pfandes nicht vermindern.

Wie für andere Handelsgüter war es notwendig, die Größe und damit den Wert landwirtschaftlicher Grundstücke zu ermitteln und zu vergleichen. Als Flächeneinheit für Grünland diente das Tagwerk, ursprünglich die Fläche, die an einem Tag gemäht werden kann. Nun hängt diese Fläche – unter anderem – von der Bodenbeschaffenheit und von der Witterung ab und war also nicht überall und nicht jederzeit von gleicher Größe.

Zum Zwecke der „Vergleichung“ war also eine allgemeinere Festlegung der Maßeinheit Tagwerk notwendig. Durch die königliche Verordnung von 1809 wurde auch das Feldmaß an den Schuh angeschlossen, indem ein Grundstück von 40 000 Quadratschuh Fläche als ein Tagwerk groß definiert wurde. Ein Grundstück von einem Tagwerk konnte also 200 Schuh mal

200 Schuh messen. Dieses Tagwerk variierte zwar mit dem Schuh, aber es ermöglichte die reproduzierbare Vermarkung und Vermessung von Grundstücken.

Flächeneinheit für Ackerland war der Juchert, das Feld, das man an einem Tag pflügen kann. In dem Namen Juchert steckt das lateinische Wort iugum = Joch, Paar von Zugtieren; es vermittelt das Bild des Landwirts, der mit seinen Ochsen ackert. Wie das Tagwerk wurde der Juchert 1809 ebenfalls auf eine Größe von 40 000 Quadratschuh festgelegt.

Weit verbreitet war auch das Dezimal, eine Fläche, die ein Zehntel des Tagwerks ausmachte, zum Beispiel 80 Schuh mal 50 Schuh.

Der Morgen, als Feldmaß in anderen Teilen Deutschlands verbreitet, hatte eine dem Tagwerk entsprechende Größe. Er war aber in Baiern nicht gebräuchlich.

Ein merkwürdiges Feldmaß ist der Bifang. Schmeller schreibt dazu: „Der Bifang, Plural die Bifäng, der Ackerbalken, das sind die, beim wiederholten Hin= und Herfahren mit dem Pflug … losgeschnittenen Streifen Erde, welche eine Erhabenheit zwischen zwey Vertiefungen (Furchen) bilden. … Die Bifänge im bairischen Flachland bestehen gewöhnlich aus vier solcher Erdstreifen. … So findet man in Urkunden häufig die Äcker nach der Zahl ihrer Bifänge bestimmt, deren Länge indessen äußerst verschieden sein kann. … Allein, da gewöhnlich in den Feldfluren mehrere gleichlange Äcker neben einander liegen, so kommt es bey einzelnen oft nur darauf an, ihre Breite zu kennen.“ Wieder die Urkunde vom 29. September 1491: „… meine zwei Äcker … der eine … siebenundzwanzig Pifang hat, der andere … hat neun Pifang.“

Ein Ratsprotokoll aus dem Schrobenhausener Stadtarchiv vom 22. Mai 1773 (4) befasst sich mit der Bitte des Stadtpfarrers Nikolaus Oberbauer, ihm ein Stück von einem gemeindeeigenen Grund zu verkaufen, auf dem er einen Garten anlegen will. Die Größe dieses Areals wird mit „33 geometrischen Ruten oder 2 Tagwerk“ angegeben. Die geometrische Rute ist demnach ein Feldmaß, das etwa 2400 Quadratschuh oder – wenn man die Rute, wie sie 30 Jahre später standardisiert wurde, zu 10 Schuh annimmt – 24 Quadratruten entsprach. Flächen wurden offenbar in diesem Maß selten gemessen, sonst wäre in dem Protokoll nicht die Umrechnung in Tagwerk angegeben worden.

 

Hohlmaße

Das bekannteste Hohlmaß ist die Maß-Kanne, meist einfach die Maß. Sie war das Volumen des Steinkrugs, aus dem das Bier getrunken wurde. Gebräuchlich war daneben die Halbe Maß, auch Seidel genannt und die Quart = Viertel (Maß). (Eine Redensart, die von Schmeller überliefert und ins Schriftdeutsche übersetzt wurde: „Wer seinen Durst mit Seideln labt, fang´ besser gar nicht an.“)

Die regionalen Unterschiede sind bei der Maß wohl gering gewesen. Die Töpfer in Keferloh und anderswo werden gewusst haben, wie groß der Keferloher sein muss und wo der Eichstrich anzubringen ist, damit sich kein Biertrinker in Baiern benachteiligt fühlen muss.

Die Maß wurde anlässlich der Vereinheitlichung des Messwesens im Deutschen Reich auf 1,069 Liter festgelegt.

Größere Flüssigkeitsmengen wurden mit dem Schenkeimer oder einfach Eimer gemessen. Er hielt 60 Maß. Davon unterschieden war der Visiereimer zu 64 Maß, nach dem der Inhalt von Fässern ausgemessen wurde.

Der Eimer wurde – wie auch andere alte Maße – nach der Einführung des metrischen Maßsystems weiter verwendet. So gibt Alexander Höcht am 23. Oktober 1873 für seine Brauerei die Herstellung von jährlich 1400 Eimern Bier an und für die Brennerei 25 Eimer Branntwein. Jakob Stief meldet am 19.Februar 1875 für seine Bierwirtschaft 800 Eimer Bierverbrauch. (5)

 

Die Apotheken, in denen sehr kleine Flüssigkeitsmengen genau gemessen werden mussten, benutzten – wie beim Gewicht – ein eigenes Maßsystem. Es geht aus von der Gallone mit 4546,1 Millilitern, die unterteilt ist in 160 Flüssigkeits-Unzen und diese in je acht Flüssigkeits-Drachmen.

Messgefäß mensuriert in Flüssigkeits-Unzenund -Drachmen

 

Messgefäße aus der Bachhuberschen Apotheke – metrisch mensuriert

 

Für den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und anderen Schüttgütern wie Salz oder Mehl waren eigene Hohlmaße oder Trockenmaße gebräuchlich. Hier waren die regionalen Unterschiede so beträchtlich, dass der Handel mit diesen Produkten erheblich erschwert war. Deshalb wurde bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts versucht, die sogenannten Getreidemaße zu vereinheitlichen.

Am 25. Mai 1731 erließ Kurfürst Karl Albrecht ein „Mandat … wegen der Getraidmässerey(6), in dem er schreibt, daß „Uns deß öfftern hinterbracht, und fürgestellet worden, Wür es auch von selbsten gnädigst ermessen, wie nutzlich es seye, daß die in unseren Landen sich verschaidentlich bezaigende Trayd=Mässerey in eines und zwar in das hiesige Münchner=Maß reduciert werde.“ Dazu hat er geeichte Muster-Gefäße (Normale!) von den Münchner Trockenmaßen „verfertigen und unsern Regierungen zuschicken lassen.“ Die Regierungen in den „Haubt=Stätten München, Landshuet, Straubing, Burghausen und Ingolstatt“ werden angewiesen, dafür zu sorgen, dass „alle in jedem Regiments=District entlegene Pfleg=Gerichts, Mautt= und Casten=Beambte, Clöster, Hofmarchen Stätt und Märckt“ solche Normale beschaffen und künftig anstelle der bisherigen unterschiedlichen Maße (es werden aufgezählt: „Schaaf, Mutt, Staab, Vierling, Kibl oder Säck, wie dieselbe ohne Ausnamb Nammen haben“) verwenden.

Um die Einführung des Münchner Maßes zu erleichtern, wird vorgeschrieben, dass „jene Stätt= und Märckts=Obrigkeiten, bey denen die Schrannen= Trayd= oder Wochen=Märckt gehalten werden, die baldigst an sich bringende hiesige Münchner=Mässerey in Gegenwart 4 aigens hierzue verpflichter Burgerlicher Raths=Freunde öffters auß= und abzumessen, und sohin die Vergleichung derselben, und der alten bißhero im Brauch gehabten Mässereyen deutlichen außgeschribner, an dem Rathhaus auf ainer Tafel anhangen zlassen haben.“ Schließlich wird noch eine Frist für die Umsetzung der Maßnahmen gesetzt: „So werden Wür nach Verfliessung obberührtern Terminus Michaeli weder in Kauff oder Verkauff auf öffentlichen Schrannen, Trayd=und Wochenmärckten, den Gebrauch einer anderen, als der hiesigen Mässerey, beyneben nicht gedulten.“

Eine weit- und umsichtige Anordnung! Es ist wohl nicht dazu gekommen, dass sie bis Michaeli 1731 vollständig umgesetzt wurde, aber sie war ein entscheidender Schritt zur Beendigung eines chaotischen Zustandes.

Das Schaff war als Hohlmaß die Basisgröße für das Messen von Trockenprodukten – Schmeller: „Das Schaff, Diminutiv Schäfflein, Schäffel. Gefäß von Böttcherarbeit, nach oben offen, …“. Man kann sich die Form des entsprechenden Behälters vorstellen!

Hier ist ein Wort zur Aussprache angebracht. Schmeller weist darauf hin, dass in der bairischen Mundart Diminutive wie Schäffel (= hochsprachlich Scheffel) oder Mässel nie mit Umlaut, sondern mit dem einfachen Laut ausgesprochen wurden: Schaffel, Massl.

 

 

Schaff aus dem Besitz des Melbers und Salz-Stößlers Georg Mühlbauer mit Eichmarken von 1880 bis 1901 am oberen Rand (Fotos: Rödig)

 

Das mit dem Mandat von 1731 verordnete Münchner Getreidemaß ist der Münchner Schäffel, der 6 Münchner Metzen enthält. Der Metzen hat 4 Viertel. Weitere Unterteilungen des Metzens gehen hinab bis zu 32 Dreißigern und 128 Mässeln in einem Metzen.

Regional unterschiedlich gab es vor der gesetzlichen Regelung eine Vielfalt an Unterteilungen des Schaffs oder Schäffels, die von Schmeller in seinem großen Artikel über das Schaff dargestellt werden.

Das Äquivalent des Schäffels im metrischen System findet sich in einem Zeitungs-Bericht vom 9. Januar 1847 über die Münchner Schranne. Dort heißt es „45 bayrische Schäffel = 100 Hektoliter“. Demnach hält ein Schäffel etwa 222 Liter, der Metzen etwa 37 Liter. (Die spätere offizielle Umrechnung ergab 222,36 Liter bzw. 37,06.) Seit den Napoleonischen Kriegen war das metrische Maß-System in Baiern bekannt, obwohl es nicht offiziell eingeführt war.

Die von der kurfürstlichen Regierung 1731 beklagte uneinheitliche „Getreidmässerei“ mit ihren Folgen für die Wirtschaft war auch im engeren Umkreis von Schrobenhausen erkennbar.

 

Für Schrobenhausen findet man Archivalien, in denen, ähnlich wie im kurfürstlichen Mandat verfügt, die alten und neuen Maße einander gegenübergestellt sind.

Eine Getreiderechnung von 1750 aus dem Schlossarchiv Sandizell (7) listet die Korngülten aus Edelshausen auf, die dem Grundherrn entrichtet werden müssen. Am Anfang steht eine „Resolvierung“, ein Vergleich des Schrobenhausener Kornmaßes mit dem neuen Münchener Maß. Daraus geht hervor, dass in Schrobenhausen der Schäffel wie in München in sechs Metzen, dieser in vier Viertel unterteilt waren. Die Schrobenhausener Maße waren aber um ein Achtel größer als die Münchner. Mit dem obigen Wert des Münchner Schäffels umgerechnet, hält der Schrobenhausener Schäffel 250 Liter, der Metzen also etwa 42 Liter.

Dieses Dokument enthält auch eine Umrechnung des Maßes von Rain am Lech. Dort hält der Schäffel 259 Liter. Im Unterschied zu München und Schrobenhausen ist er aber in acht Metzen zu je 32,5 Liter unterteilt.

 

 

In einem Dokument von Mühlried aus der Mitte des 17. Jahrhunderts wird der dortige Schäffel in fünf Metzen unterteilt; die Größe des Schäffels ist nicht angegeben.

In Pfaffenhofen hielt der Schäffel 239 Liter und war in vierzehn Strich zu je 17,1 Liter unterteilt.

Schrobenhausen, Rain am Lech, Mühlried, Pfaffenhofen: Vier Orte, die man als beispielhaft annehmen kann, haben vier verschiedenen Kornmaße: Man kann ermessen, wie schwerfällig das Wirtschaftsleben im Lande funktionierte. Bis zu einer wirkungsvollen Abhilfe dauerte es noch bis zur Reichsgründung.

 

Zinnmaße 1851 –Eichmarken auf dem oberen Rand (Stadtmuseum Schrobenhausen)

 

Getreidemaße nach 1872 – in Litern vermessen und geeicht (Stadtmuseum Schrobenhausen)

Weitere landwirtschaftliche Maße

Weitere, teilweise nur regional benutzte landwirtschaftliche Maße:

Das Sumber (Schmeller: Das Sumber oder Sümber, Korb, besonders ein dichter, aus Stroh geflochtener), auch Sümer oder Simri genannt, war als Getreidemaß in Franken gebräuchlich. Seine Größe variierte regional sehr stark; es konnte zwischen 80 und 600 Liter halten.

Das Mutt war ein Getreidemaß, an dem man die regionale Vielfalt der ursprünglichen Maße besonders gut erkennen kann. Nach Schmeller machte „das Mutt in Mühldorf 4 Schäffel, 4 Metzen, 3 Viertel und 2 Sechszehntel, in Wasserburg und Rosenheim 4 Schäffel, 2 Metzen, 1 Viertel Münchner Maßes, … in Traunstein 6 Münchner Schäffel. Das Eichstätter Mutt enthielt 28 Metzen.“ Weitere ähnliche Getreidemaße wurden in Franken und Schwaben gebraucht.

Ein verbreitetes Maß für Handelswaren war der Saum. Er bezeichnete ursprünglich die Last, die der Säumer auf seinem Pferd über die Alpen transportierte und entsprach ungefähr 250 Pfund. Später wurde er allgemein für große Warenmengen gebraucht und bezeichnete dann oft Großhandels-Waren im Gegensatz zu Waren im Detail-Verkauf. Deshalb wurde im Flachland der Großhändler auch als Säumer bezeichnet.

Ein spezifisches Maß war auch der Holzklafter, die Volumeneinheit für Brennholz. Ein Holzklafter maß ein Klafter Breite mal ein Klafter Höhe mal Scheitlänge, also ungefähr drei Kubikmeter.

Gewichte

Grundeinheit für die Gewichtsmessung war das Handelspfund, auch kurz als Pfund bezeichnet, das 560 Gramm entsprach. Hundert Pfund waren ein Zenten. (Bei Eiern wurde der Zenten auch als Zählmaß verwendet: Ein Zenten = 100 Stück.)

Die weitere Aufteilung:

1 Pfund = 16 Unzen = 32 Lot = 128 Quent = 512 Pfennig = 7680 Gran.

Im Alltag der Bevölkerung waren die Gewichtsmaße zum Beispiel bei der Herstellung und beim Kauf von Brot zu beachten. Brot war wie heute eines der wichtigsten Nahrungsmittel. Deshalb wurde der Preis des Brotes – wie der anderer Grund-Nahrungsmittel – vom Magistrat reguliert und bei Bedarf an die Entwicklung der Getreidepreise angepasst.

Die verschiedenen Brotsorten hatten festgelegte (niedrige) Preise, die nicht beliebig unterteilt werden konnten. Die Regulierung des Brotpreises erfolgte deshalb so, dass das vorgeschriebene Gewicht der einzelnen Brotsorten nach dem Getreidepreis variiert wurde. (8)

Ein Beispiel aus dem späten 17. Jahrhundert (9):

Am 10. November 1689 kostete der Weizen 9 Gulden (je Schäffel). Für die Semmel zu einem Pfennig war ein Gewicht von 2 Lot 2 Quent 2 Pfennig, also etwa 46 Gramm, vorgeschrieben. Das Ein-Kreuzer-Röggl musste 14 Lot 2 Quent, etwa 250 Gramm, wiegen.

Am 20. Oktober 1690 lag der Preis für Weizen bei 7 Gulden 2 Schilling Pfennige. Entsprechend musste das Brot schwerer sein: Die Ein-Pfennig-Semmel hatte 3 Lot 2 Pfennig, etwa 55 Gramm, und das Röggl zu einem Kreuzer 16 Lot 2 Quent, etwa 290 Gramm.

 

Der Pfennig kommt hier mit zwei unterschiedlichen Bedeutungen vor: Als Währungseinheit ist er der zweihundertvierzigste Teil des Guldens, als Gewichtseinheit der fünfhundertzwölfte Teil des Pfundes.

 

Die Einhaltung der vorgeschriebenen Gewichte der Brote wurden vom Stadtmagistrat kontrolliert. Man findet in den Ratsprotokollen immer wieder Einträge über die Bestrafung von Bäckern wegen zu niedrigen Brotgewichts. So wurde am 29. Juli 1701 bei zwei Bäckern, Josef Grabmayer und Georg Harter, zu leichtes Brot gewogen; sie wurden mit Geldstrafen belegt (10).

 

Neben dem Handelsgewicht gab es zwei weitere „branchenbezogene“ Gewichtssysteme, die früh im 19. Jahrhundert in Deutschland Länder-übergreifend normiert worden waren.

Das erste war das Münzgewicht, das auch für ungemünzte Edelmetalle verwendet wurde. Es basierte auf der Kölnischen Mark, die etwa 234 Gramm hielt und in 8 Unzen, 64 Quentchen und 256 Pfennig unterteilt war.

Betrügerische Münzverschlechterung, also die Verminderung des Feingehalts einer Münze an Gold oder Silber und Ersatz durch minderwertige Metalle, kam so häufig vor, dass vor allem Kaufleute und Händler sich dagegen schützen mussten. Dazu gab es Feinwaagen mit Gewichts-Sätzen, die mit den Gewichten der gängigen „echten“ Münzen identisch waren. Die schlechten Münzen waren leichter als die unverfälschten. Mit der Münzwaage konnten sie schnell und zuverlässig erkannt und als Zahlungsmittel zurückgewiesen werden.

Feinwaage zur Münzprüfung 1856 (Stadtmuseum Schrobenhausen)

 

Als zweites spezifisches System gab es das Apothekergewicht, dessen Anwendungsgebiet sich aus dem Namen ergibt. Das Apothekerpfund entsprach etwa 360 Gramm und war unterteilt in 12 Unzen, 96 Drachmen 288 Skrupel und 5760 Gran.

 

Das Pfund wurde vielfach auch als Zähleinheit benutzt und entsprach 240 Stück. So konnte man von einem Pfund Kälberstricke, einem Pfund Zaunlatten oder auch einem Pfund Pfennig sprechen. Eine weitere Zähleinheit war der Schilling, der 12 Stück bedeutete.

Beide Zähleinheiten haben lange überlebt in der britischen Währung: Ein Pfund Sterling =20 Shilling zu je 12 Pence = 240 Pence.

Salz

Salz wurde bis in das 20. Jahrhundert hinein nicht nur als Speisewürze, sondern auch zum Konservieren von Fleisch und Gemüse oder zur Fermentierung von Weißkohl zu Sauerkraut verwendet. Auch verschiedene Gewerbe wie Brauereien, Färber, Gerber hatten Bedarf an Salz. Die Menge, die pro Kopf der Bevölkerung verbraucht wurde, war ein Vielfaches der heutigen Menge. Salz war ein wichtiges und begehrtes Handelsgut: “Weißes Gold“.

Das Salz wurde in den Salinen nach dem Trocknen in hölzerne konische Fässer – Kufen – kräftig eingestampft, so dass eine kompakte Masse entstand. Diese Kufe bzw. ihr Inhalt, die Scheibe Salz, war die Versand-Einheit und zugleich das Handelsmaß. Eine Scheibe wog ungefähr eineinhalb Zenten oder 85 Kilogramm.

Der Ausstellungs-Katalog „Salz Macht Geschichte“ (siehe Literatur-Verzeichnis) ist eine umfassende Dokumentation über die Gewinnung, den Transport und die Handelswege des Salzes in Bayern. Er ist ein Muss für alle, die sich detaillierter über das Weiße Gold informieren wollen.

 

Hölzerne Salzschaufel des Melbers und Salzstößlers Georg Mühlbauer

Schrobenhausen bezog sein Salz von den landesherrlichen Salzämtern in München und Ingolstadt, seltener auch aus dem Fürstentum Pfalz-Neuburg. Im städtischen Salzstadel wurden die Scheiben zerstampft und an die Hockner (11) verkauft, die sie Dreißiger-weise weiterverkauften. Der Verkaufspreis war von der Stadt vorgeschrieben.

Eine Episode über die Folgen unterschiedlicher regionaler Maße: Im Januar 1765 beschwerten sich die Hockner, weil die Ingolstädter Salzscheiben kleiner als die 83 Dreißiger waren, nach denen die Stadt den Verkaufspreis kalkuliert hatte (12). Die Stadt wandte sich an den Salzbeamten in Ingolstadt mit der Bitte, der Vorschrift entsprechende Salzscheiben zu liefern. Dieser teilte mit, dass im Salzamt jede Scheibe überprüft und falls erforderlich, auf 83 bis 84 Dreißiger aufgefüllt werde. Die Stadt wählte dann aus ihrem Bestand drei Salzscheiben aus und ließ sie vom Eichmeister, von den Hocknern und vom Ratsdiener in Dreißigern ausmessen. Es stellte sich heraus, dass die Scheiben zwischen 71 und 75 Dreißiger hielten. So war also 25 Jahre nach der Anordnung des Kurfürsten der Schrobenhausener Dreißiger noch um etwa 10 Prozent größer als der Ingolstädter.

Der letzte und zu seiner Zeit einzige Salzstößler in Schrobenhausen war der Melber Georg Mühlbauer. Er hatte 1884 eine Hypothek auf sein Haus zugunsten der bayerischen Salinen-Verwaltung eintragen lassen. Dies war die Bedingung, dass er mit Salz beliefert wurde.

Von seinem Salzhandel ist eine hölzerne Schaufel erhalten geblieben.

Wasser

Bernhard Rödig (13) hat beschrieben, wie ab Mitte des 15. Jahrhunderts Wasser aus den umgebenden Moosen und Quellhorizonten in Deichel-Leitungen in die Stadt geführt wurde. So stand der Bevölkerung frisches Wasser in Röhrbrunnen zur Verfügung und man war nicht auf das Wasser aus dem Stadtbach oder den Stadtgräben angewiesen.

Viele Bürger, vor allem Gewerbetreibende wie Bräuer, Färber oder Johannes Senser für seine Tuchfabrik, waren auf fließendes reines Wasser in ihrem Betrieb angewiesen. Sie konnten auf eigene Kosten eine Leitung auf ihr Grundstück legen, deren lichter Durchmesser entsprechend ihrem Bedarf festgelegt wurde. Die Wassermenge, die sie bezogen, wurde in Steften gemessen. Ein Steften entsprach einem Fluss von zwei Maß pro Minute. Im 17. und

  1. Jahrhundert lagen die üblichen Wassermengen, die die Stadt lieferte, zwischen einem Viertel und einem Steften pro Anschluss.

Die Gebühr, die die Stadt für das gelieferte Wasser verlangte, war recht hoch: 1712 ließ sich der Färber Hans Georg Scheffler einen Viertel Steften liefern und bezahlte dafür einen Gulden jährlich (14). (Zum Vergleich: Am 16. Oktober 1711 kauft der Färber Franz Knogler das sogenannte Käsränftelsche Haus in Schrobenhausen für 400 Gulden (15).)

Ein Maß für die Ergiebigkeit von Solequellen war das Röhrl. Es entsprach in Reichenhall einem Fluss von 20 Kubikmetern in 24 Stunden.

 

Die bayerische Landesvermessung 1801

Was hat die bayerische Landesvermessung mit den bairischen Maßen und Gewichten zu tun? Zum ersten Mal wurde bei dieser Gelegenheit die künftige universelle Längeneinheit, das Meter, verwendet.

Bayern hatte im zweiten Koalitionskrieg an der Seite Österreichs gegen Frankreich gekämpft. Nach dem Sieg der Franzosen bei Hohenlinden besetzte die französische Armee ganz Süddeutschland bis sie 1802, nach dem Frieden von Lunéville, wieder abzog.

Die Franzosen installierten 1800 in Nymphenburg eine „Commission des routes“, die für die Heeresführung eine genaue Karte von Bayern herstellen sollte. Nach ihrem Abzug entstand daraus das Bayerische Topographische Büro, das von Kurfürst Maximilian IV. Joseph mit der Fortsetzung der von den Franzosen begonnenen Arbeit beauftragt wurde.

Als erster Schritt der Landesvermessung war es erforderlich, die Länge einer „Basislinie“ für die Triangulierung (16) mit äußerster Genauigkeit zu bestimmen. Die Endpunkte dieser Linie lagen in München am Föhringer Ring bei St. Emmeram und bei Aufkirchen westlich von Erding. Diese Endpunkte wurden durch Granitpyramiden gekennzeichnet und sind somit noch heute erkennbar.

Die Leitung der Vermessung dieser Linie übernahm der französische Ingenieurgeograph Charles Rigobert Bonne. Die Arbeiten begannen am 25. August 1801. Die Länge der Strecke durch das menschenleere Erdinger Moos wurde mit Holzstangen von fünf Metern Länge „abgeschritten“. Nach 42 Tagen ergab sich die Länge der Basislinie zu 21 Kilometer 653 Meter 80 Zentimeter. Messungen mit heutigen modernen Mitteln zeigten, dass Bonne sich um weniger als einen Meter „vermessen“ hatte.

Da in Bayern das Meter noch nicht eingeführt war, wurde die Basislänge in bayerische Ruten zu je 10 Schuh umgerechnet und ergab 7 419,267 Ruten.

Basispyramide Aufkirchen

 

Von den Endpunkten der Basislinie wurden dann die Winkel zu den nächsten trigonometrischen Punkten ermittelt und so schrittweise die Triangulierung des Landes durchgeführt. Damit wurden die Grundlagen für die ersten genauen Flurkarten im Maßstab 1:5000 geschaffen, die mit den im Laufe der Zeit erforderlichen Revisionen über viele Jahrzehnte der Kartographie Bayerns zugrunde lagen.

 

Vereinheitlichung der Maße und Gewichte in Bayern 1809

Ein neuer Vorstoß zu einem in ganz Bayern einheitlichen Messwesen unternahm König Maximilian I. Eine Verordnung vom 28. Februar 1809 zur „Einführung eines gleichen Maß-, Gewichts- und Münz-Fußes …“ erklärte die gesamten Münchner Maße, also nicht nur wie in dem Mandat von 1731 die Hohlmaße zur Getreidemessung, für das ganze Königreich als verbindlich und setzte damit fort, was, offenbar wenig erfolgreich, seit mindestens Anfang des 18. Jahrhunderts angestrebt worden war.

 

Das metrische Maßsystem wird eingeführt

Erst mit der Reichsgründung kam das Ende der Vielfalt des Messwesens in Deutschland. Das metrische Maßsystem wurde durch Reichsgesetz vom 16. April 1871 mit Wirkung ab 1. Januar 1872 verbindlich eingeführt.

Die amtlichen Aktivitäten wurden sofort auf das neue System umgestellt. Im Stadtarchiv ist das „Schrannen-Manual 1802 – 1892“ (17) erhalten. In diesem Archivale sind für jede Schranne (also wöchentlich) und für die vier Getreidearten Weizen, Roggen, Gerste und Hafer jeweils die Mengen an Getreide festgehalten, die zur Schranne geliefert und die verkauft wurden, sowie die Preise, die bezahlt wurden. Die Maßeinheit war zunächst der (Münchner) Schäffel. Am Anfang der Eintragungen für das Jahr 1872 findet sich die Notiz: „Vom Jahre 1872 an Maaß und Preis pro Hektoliter“.

Schwieriger und langwieriger war die Umstellung im privaten Bereich. Es gab manche Hindernisse. Die Anwendung der alten Maßeinheiten hatte eine lange Tradition; sie waren seit alters vertraut. Die neuen Einheiten mussten in Tabellen nachgeschlagen oder aus den alten umgerechnet werden. Ihre Benennungen waren ungewohnt und wirkten abstrakt gegenüber den vertrauten alten Namen.

 

Ein vielgenutztes Hilfsmittel

 

Inzwischen hat sich das metrische Maßsystem wie in Bayern nahezu weltweit durchgesetzt. In Baiern kennt man noch die Namen der alten Maßeinheiten: Zoll, Tagwerk, Unze und Schäffel. Ihre ursprüngliche Funktion ist eine geliebte Erinnerung.

 

Anmerkungen

(1)  Ich verwende die Bezeichnung Baiern wie üblich als Synonym für Altbaiern, während mit Bayern das Territorium des Königreichs gemeint ist.

(2)  Johann Andreas Schmeller: Bayerisches Wörterbuch. Dieses Werk, dessen erste Auflage 1827 – 1837 erschien, ist auch heute noch unentbehrlich für jeden, der sich für bairische Sprache, Kultur und Geschichte interessiert. Ich verwende es in der Folge häufig, ohne jedes Mal Schmellers Namen zu erwähnen.

(3)  Stadtarchiv Schrobenhausen – Darlehensvertrag zwischen Hans Will und der Dreifaltigkeitskirche Peutenhausen vom 29. September 1491

(4)  Stadtarchiv Schrobenhausen – Ratsprotokolle B 106

(5)  Stadtarchiv Schrobenhausen – Gewerbeanmeldungen Schrobenhausen A 20/8

(6)  Sammlung der neuest und merkwürdigisten Churbaierischen Generalien und Landesverordnungen, N. IX. München 1771.

(7)  Stadtarchiv Schrobenhausen – Edelshauser Getreiderechnung 1750. Bestand Schloßarchiv Sandizell, R. 31

(8)  Die Obrigkeiten waren sich des Einflusses bewusst, den der Brotpreis auf das Wohlergehen und die Stimmung in der Bevölkerung hatte.

(9)  Stadtarchiv Schrobenhausen – Ratsprotokolle B 66 und B 67

(10)  Stadtarchiv Schrobenhausen – Ratsprotokolle B 76

(11)   Hockner waren ursprünglich Händler, die ihre Ware auf der Rückentrage, der Hucke, trugen. Später wurden allgemein Kleinkrämer als Hockner bezeichnet.

(12)   Stadtarchiv Schrobenhausen – Salzakte, Akten Nr. 39, 40 und 41

(13)   Rödig, Bernhard: Wasser für die junge Stadt. In: Direktor, Max (Hrsg.): Schrobenhausen im Mittelalter. Schrobenhausen 1997

(14)   Stadtarchiv Schrobenhausen – Ratsprotokolle B 80

(15)   Stadtarchiv Schrobenhausen – Briefprotokolle 1711 – 1713

(16)   Triangulierung = Dreiecksmessung. Traditionelle Methode der Landesvermessung. Dazu wurde das Land durch ein Netz von gedachten Dreiecken überzogen, deren Eckpunkte (Trigonometrische Punkte) dauerhaft festgelegt wurden. Sie wurden so im Gelände ausgewählt, dass sie wechselseitig mit Theodoliten angepeilt werden konnten. Die Länge einer der Verbindungslinien musste mit äußerster Genauigkeit bestimmt werden. Sie war die sogenannte Basislinie des Netzes. Die Lage der weiteren Punkte konnte dann schrittweise durch (die wesentlich einfachere) Winkelmessung ermittelt werden.

(17)     Stadtarchiv Schrobenhausen – A 20/7

Literatur

  • Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik … . 2. Auflage, Stuttgart, Leipzig 1904 – 1910
  • Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage, Leipzig und Wien
  • 1905 ff.
  • Salz Macht Geschichte. Katalog und Aufsätze zur gleichnamigen Ausstellung. Haus der Bayerischen Geschichte. Hrsg. von Manfred Treml … – Augsburg 1995
  • Schlender, Johannes: Über das Messen von Längen vor 1872.
  • In: Restaurator im Handwerk – Die Fachzeitschrift für Restaurierungspraxis 3/2015
  • Schmeller, Johann Andreas: Bayerisches Wörterbuch. 2. Ausgabe, München 1872 –1877 (Nachdruck 1985)
  • Scholz, Günter & Klaus Vogelsang: Einheiten – Formelzeichen – Größen. Leipzig 1991
  • Stadtarchiv Schrobenhausen: Verschiedene Archivalien
  • Trapp, Wolfgang: Kleines Handbuch der Maße, Zahlen Gewichte und der Zeitrechnung. 2. Auflage, Stuttgart 1996

 

 

Fotos: Hofmann, falls nicht anders vermerkt

 




Burgheim – 150 Einblicke in die Vergangenheit

Burgheim auf einer Postkarte um 1906

 

Markt Burgheim – 150 Einblicke in die Vergangenheit

Eine Buchempfehlung

Aktuell die umfassendste und attraktivste Darstellung einer Gemeindegeschichte im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen: Die Geschichte des Markts Burgheim. Und die hat viel mehr zu bieten, als man denkt: wichtige, marktähnliche Siedlung zur Römerzeit, dichte frühmittelalterliche Besiedlung, Adelige, Hofmarken, Gerichtssitz, Marktrechte – die spannenden Themen reichen bis in die unmittelbare Gegenwart. Dass dieses Projekt verwirklicht werden konnte, ist zuallererst Bürgermeister Michael Böhm zu verdanken und Dr. Dorothea Zitzmann, der Vorsitzenden des Heimatgeschichtlichen Vereins Burgheim. Sie haben das Projekt ins Rollen gebracht uns sich um die Finanzierung gekümmert.

 

150 Einblicke – ein neues Konzept

Schon der Untertitel zeigt, dass mit dieser Chronik neue Wege beschritten werden sollten. „Der Grundgedanke ist, dass in kurzgefassten zweiseitigen Beiträgen alle wichtigen Aspekte der Burgheimer Vergangenheit bis zur Gegenwart vorgestellt werden sollen“, heißt es im Vorwort. Jedes Thema zwei Seiten – kann das gutgehen?

Erstaunlich gut, muss man sagen. Denn damit ist das Buch sehr leserfreundlich geworden, man muss nicht Seite für Seite lesen, sondern kann einzelne Kapitel auswählen, die in sich weitgehend geschlossen sind, immer wieder neue Eindrücke sammeln, das Buch auch einfach mal zwischendurch in die Hand nehmen. Ein nicht zu unterschätzendes Plus gerade in einer Zeit, in der immer weniger lange zusammenhängende Texte gelesen werden.

Die Bandbreite der Themen ist groß und chronologisch in größere Kapitel verpackt. Von der Vorgeschichte über die Römerzeit ins Mittelalter – von dort aus in die Neuzeit, aus allen Perioden finden sich sachkundige, verständlich geschriebene Texte, zum Beispiel über Handwerk, Kirchen, Schulen, Mühlen, Gassen und Wege, Armenfürsorge, Medizinalwesen, Vereine. Topographische Karten erleichtern die geographische Einordnung, zahlreiche Bilder geben visuellen Einblick in vergangene Zeiten.

Statt alle Themen aufzuzählen, verlinken wir weiter unten auf das umfangreiche Inhaltsverzeichnis.

Weitere Besonderheiten, die positiv auffallen: die Chronik geht bis in die unmittelbare Gegenwart und weckt vielfach Erinnerungen bei Bürgern, die die letzten Jahrzehnte noch miterlebt haben. Auch die oft vernachlässigte Gewerbegeschichte erhält ausführlich Raum.

Viele Themen werden beispielhaft abgehandelt und sind so auch für Nicht-Burgheimer interessant, zum Beispiel Artikel zur Alltagsgeschichte wie über Bader, Ärzte, Hebammen, Seuchen, Wasenmeister oder Armenfürsorge.

 

Alle Ortsteile

Nicht selten werden die Ortsteile bei Gemeindechroniken etwas stiefmütterlich behandelt, nicht hier. Insgesamt 8 Gemeinden wurden zwischen 1972 und 1976 nach Burgheim eingemeindet: Dezenacker, Illdorf, Kunding, Leidling, Moos, Ortlfing, Straß und Wengen. Zu jedem dieser Gemeindeteile gibt es jeweils zwei Seiten Orts- und zwei Seiten Kirchengeschichte, allesamt verfasst von Dr. Manfred Veit, dem langjährigen Kreisheimatpfleger unseres Landkreises, der hier aus seinem umfangreichen Wissensfundus schöpfen konnte.

 

Viele fachkundige Autoren

Dass dieses Werk inhaltlich so gelungen ist, ist Marcus Prell zu verdanken, der nicht weniger als 35 Autorinnen und Autoren gewinnen konnte – neben Heimatforschern auch regional und überregional anerkannte Historiker und Archäologen. Kurze Biographien der Autoren finden sich im Anhang.

 

Blick ins Buch

Da es unmöglich ist, hier alle Themen aufzuzählen, präsentieren wir das Inhaltsverzeichnis hier.

Eine kleine Leseprobe eines Beitrags von Marcus Prell über „Holzbrücken und Fähren. So überquerten Burgheimer früher die Donau“ finden Sie hier.

 

Das Buch im Überblick – Erwerbsmöglichkeit

Buch präsentiert sich im Großformat als Hardcover mit Fadenheftung und  372 Seiten und ist durchgehend vierfarbig gedruckt. Das Layout ist sehr professionell und abwechslungsreich, die Bebilderung exzellent. Der Preis von 32,50 Euro ist angesichts der hohen Qualität und Aufmachung auf keinen Fall zu hoch gegriffen.

Markt Burgheim. 150 Einblicke in die Vergangenheit, hrsg. vom Heimatgeschichtlichen Verein Burgheim, Burgheim 2022

Das Buch kann bestellt werden bei Dr. Dorothea Zitzmann unter zitzmann.hgvburgheim@web.de 

 

 

 




Die Schrobenhausener Gesundheits- und Umwelttage – ein kleiner Beitrag zur Umweltgeschichte

Persönliche Vorbemerkung

Ein Rückblick auf eine große Veranstaltungsreihe aus dem Jahr 1996? Ist das denn schon Geschichte? Und was sollen wir daraus lernen?

Kurz nach den Gesundheits- und Umwelttagen 1996 wurde ich von einer überregional erscheinenden Zeitschrift aus dem Bereich des Gesundheitswesens gebeten, einen Artikel über diese Veranstaltung zu schreiben. Obwohl mit der Redaktion abgestimmt, wurde er dann doch nicht veröffentlicht, der Grund dafür ist mir nicht bekannt. Vielleicht weil es ein Erfahrungsbericht war, keine wissenschaftliche Auswertung? Vielleicht weil nicht die „klassische Schulmedizin“ im  Vordergrund stehen sollte?

Da dieser Artikel jedoch einen sehr guten Einblick in die Zeit der 1990er Jahre gibt, soll er im Folgenden veröffentlicht werden. Der Artikel zeigt, wie sich in dieser Zeit viele ehrenamtlich Engagierte zusammengefunden haben, um für ihr Anliegen zu werben, eine Bürgerinitiative einer ganz eigenen Art.

Der Vergleich zur Gegenwart zeigt, wie viel sich in diesen knapp drei Jahrzehnten verändert hat, wie viele Ideen Anstoß für Veränderungen gegeben haben.

Die Gesundheits- und Umwelttage wurden bis 2003 abgehalten. Viele Mitwirkende engagierten sich auch in der Ende der 1990er Jahre entstandenen Initiative AGENDA 21. Im Bereich Energie wurde in Schrobenhausen damals ein erstes „Bürgerkraftwerk“ aus Spendengeldern errichtet, ein kleines Photovoltaikprojekt, das damals nicht selten belächelt wurde. Im Energiebereich Engagierte initiierten schließlich das noch bestehende Projekt „Energie effizient einsetzen“ und schließlich auch die Bürgerenergie-Genossenschaft, die inzwischen weit über die Landkreisgrenzen hinaus tätig ist. Auch heute finden wieder Umwelttage in Schrobenhausen statt.

Im Folgenden das eingereichte Manuskript in unveränderter Fassung, formale Fehler wurden korrigiert, die Rechtschreibung modernisiert. Parallel dazu haben wir das Programmheft eingescannt, das in hoher Auflage im Raum Schrobenhausen verteilt wurde. Das Programm finden Sie hier.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Schrobenhausener Gesundheits- und Umwelttage – eine Initiative  von Bürgern für Bürger

 

Zusammenfassung

Die Stadt Schrobenhausen – eine Kleinstadt im nördlichen Oberbayern mit knapp 16.000 Einwohnern – veranstaltet im zweijährigen Turnus „Gesundheits- und Umwelttage“. Diese Veranstaltung – mit etwa 40 Ausstellern sowie 50 Vorträgen und Aktionen für eine Kleinstadt eine enorme Leistung – wird im wesentlichen vom Engagement der Bürger getragen. Vereine, Firmen, Behörden und alle örtlich vertretenen Krankenkassen haben sich der Veranstaltung angeschlossen – die Stadt hat die Trägerschaft und die Organisation übernommen. Das Beispiel Schrobenhausen zeigt, dass man auch in Zeiten knapper werdender Kassen Veranstaltungen dieser Art durchführen kann, wenn man sparsam wirtschaftet – und das bei einem hohen Qualitätsniveau. Der folgende Erfahrungsbericht stammt aus der Sicht des städtischen Koordinators, der seine Aufgabe vor allem darin gesehen hat, die Initiativen zu koordinieren, die Gesamtorganisation zu leiten und für ausreichend Öffentlichkeitsarbeit und Werbung zu sorgen.

Ein Erfahrungsbericht in einer Zeitschrift, in der vor allem wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht werden? Ein Erfahrungsbericht sollte es vor allem deshalb werden, weil die Daten rund um die Gesamtveranstaltung nicht so einfach wissenschaftlich aufbereitet werden können. Ein Erfahrungsbericht erleichtert die Suche nach Motiven, Zielen und Erfolgen einer Initiative, die inzwischen weit über die Grenzen Schrobenhausens hinaus Beachtung findet.

 

Vorgeschichte

Anfang der neunziger Jahre formierte sich in Schrobenhausen eine kleine Gruppe, die sich Arbeitskreis Stadtökologie nannte und in lockeren Zusammenkünften verschiedene Umweltthemen diskutierte. Aus diesen Treffen entstand die Idee, unter dem Titel „Schrobenhausener Umwelttage“ ein anspruchsvolles Ausstellungs- und Vortragsprogramm zu entwickeln. Konkretes Ziel war, einer breiteren Öffentlichkeit Informationen und Anregungen im Umweltbereich zu geben, lähmenden Umweltängsten entgegenzuwirken und zum Handeln zu ermuntern. Ein Rundbrief an interessierte Bürger, an Vereine und Institutionen war erfolgreich: etwa drei Dutzend engagierte Einzelpersonen sowie Vertreter von Vereinen, Initiativen und Institutionen wollten mitarbeiten. So wurde die Veranstaltung ein Erfolg, auch wenn das Wetter nicht so recht mitspielen wollte und Anfangsschwierigkeiten zu überwinden waren. Man war sich einig, die Veranstaltung nach zwei Jahren zu wiederholen.

Inzwischen waren auch Pläne gereift, in Schrobenhausen eine ähnliche Veranstaltung im Bereich der Gesundheit anzubieten, vorangetrieben vor allem vom damaligen Stadtrat Dr. Anton Euba. Die Idee lag in der Luft und wurde schon nach kurzer Diskussion für gut befunden: die beiden Veranstaltungen unter dem Titel „Schrobenhausener Gesundheits- und Umwelttage“ zu vereinen, wobei die die Teilbereiche Gesundheit und Umwelt gleichberechtigt nebeneinander stehen sollten.

Die Argumente waren klar: Zahlreiche Gefahren für die Umwelt bedrohen auch die Gesundheit des Menschen – andererseits mag die Sorge um die eigene Gesundheit so manchen motivieren, sich näher mit Umweltschutz zu beschäftigen. Auch war man sich der Chance bewusst, die Bereiche Gesundheit und Umwelt in größere Zusammenhänge zu stellen. Es sollte nicht die klassische Schulmedizin im Vordergrund stehen, die es sich zur Aufgabe macht, Symptome zu kurieren. Gesundheit und Krankheit sollten in ganzheitlichen Zusammenhängen gesehen werden. In den Mittelpunkt rückte die Prävention mit Vorschlägen und Anregungen, wie man selbst mit Aktivität und Spaß zu einer gesunden Lebensweise und lebenswerten Umwelt beitragen kann. Dazu wollte man Denkanstöße geben und neue Wege aufzeigen.

So gab es im Jahr 1994 noch deutlich mehr Resonanz, als die Organisatoren – vor allem wieder engagierte Bürger – zur Beteiligung an den ersten „Schrobenhausener Gesundheits- und Umwelttagen“ aufriefen. Man verlegte den Ausstellungsort in die Stadtmitte rund ums Rathaus und brachte wieder ein ausführliches Programm heraus. Von vornherein versuchte man, thematische Schwerpunkte zu setzen, um zu vermeiden, dass sich Themenstellungen alle zwei Jahre wiederholen. Um noch breitere Bevölkerungsschichten anzusprechen und der Veranstaltung jegliches Außenseiterimage zu nehmen, einigte man sich dahingehend, eine bekannte Persönlichkeit als Schirmherrn zu gewinnen und die Eröffnung zu einem gesellschaftlichen Ereignis zu machen. Für diese Aufgabe konnte Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer gewonnen werden. Zur Eröffnungsveranstaltung wurden nicht nur die üblicherweise eingeladenen öffentlichen Funktionsträger, sondern auch die interessierte Bevölkerung eingeladen – die große Resonanz mit 400 Besuchern gab den Veranstaltern recht. Für die „Gesundheits- und Umwelttage 1996“, deren Verlauf im folgenden näher geschildert wird, wollte man daher die Grundlinien dieser Veranstaltung beibehalten.

 

Werbung und Programmgestaltung

Menschen in unserer Gesellschaft werden Tag für Tag mit Informationen überhäuft und mit Werbematerial überschwemmt. Deshalb wollte man den Erfolg der Veranstaltung von Anfang an nicht dürftigen Faltblättern überlassen, die in Banken, Geschäften und bei Behörden ausliegen und vergleichsweise nur wenige Personen erreichen. Erfahrungen haben gezeigt, dass man Ausstellungen zwar gut durch die Presse und mit Plakaten bekannt machen kann, dass aber Vortragssäle oft leer bleiben, wenn man die Vortragsveranstaltungen nicht ausführlicher ankündigt. Um alle Veranstaltungen rund um die Gesundheits- und Umwelttage einem möglichst breiten Publikum nahezubringen, entschloss sich das Organisationsteam, ein ausführliches Programmheft zu erstellen und an alle Haushalte im Stadtgebiet und im Einzugsbereich der Stadt verteilen zu lassen. Alle Aussteller und Referenten wurden daher gebeten, ihren Themenbereich kurz und prägnant in wenigen Sätzen darzustellen. Viele der eingereichten Texte erwiesen sich als kompliziert, deshalb war es unerlässlich, die Texte redaktionell zu bearbeiten, stilistisch anzugleichen und allgemeinverständlich zu formulieren. Die Arbeit am 24seitigen Programmheft gestaltete sich somit zu einer der zeitraubendsten Arbeiten im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten. Moderne Satz-, Druck- und Bindetechniken ermöglichten es, das Heft in einer Auflage von 18.000 Exemplaren zu drucken und an die Haushalte zu verteilen – und das bei Gesamtkosten von unter 9.000 DM.

 

Inhalte und Schwerpunkte

Da die Gesundheits- und Umwelttage wieder im Herbst stattfinden sollten – die Sommertermine sind häufig durch eine Fülle von Feiern und Veranstaltungen belegt – wurde das erste Rundschreiben im Februar versandt: Alle Teilnehmer der letzten Veranstaltung und zusätzliche Interessierte wurden persönlich eingeladen. Das sehr gut besuchte erste Treffen ließ hoffen, dass auch diesmal das nötige Engagement für eine erfolgreiche Veranstaltung vorhanden sein würde. Auch die zweiten Gesundheits- und Umwelttage sollten Schwerpunkte setzen, ohne die gesamte Bandbreite der Bereiche einzuengen. Man einigte sich auf die Themen „Natürliche Heilweisen“ auf dem Gebiet der Gesundheit und „Verkehr“ im Bereich Umweltschutz. Von vornherein wurde ein ausgewogenes Verhältnis von Ausstellungen und Vorträgen angestrebt. Die Zeit zwischen den einzelnen Vorbereitungstreffen wurde von den Teilnehmern genutzt, um Termine abzuklären, Referenten zu gewinnen oder sich Gedanken über das eigene Angebot zu machen. Die Diskussionsatmosphäre war von gegenseitiger Toleranz bestimmt, die Überparteilichkeit war Grundvoraussetzung und wurde auch von den in Parteien organisierten Teilnehmern vollkommen akzeptiert.

Neben den klassischen Themen in den Bereichen Gesundheit und Umwelt wollte man diesmal noch bewusster Themen einbinden, die häufig weniger Beachtung finden oder gar tabuisiert werden, z. B. die Hospizbewegung oder der Umgang mit der Krankheit AIDS. Auch sollte der Blick über den Tellerrand gewagt werden, Umwelt und Gesundheit nicht zur deutschen Angelegenheit erhoben und auf deutsche Bevölkerung beschränkt werden. In diesem Sinne informierte die Dritte-Welt-Gruppe über fairen Handel und dessen positive Auswirkungen auf die Dritte Welt – auch auf die dortigen Gesundheits- und Umweltbedingungen. Der Ausländer-Inländer-Treff – eine lokale Initiative zur Förderung von gegenseitigem Verständnis und Toleranz – stellte sich durch internationale Schmankerl vor. Nicht zuletzt förderte das gutbesuchte Abendgebet der Religionen, das christliche und islamische Gläubige in einem gemeinsamen Gottesdienst vereinte, das gegenseitige Verständnis, die Achtung vor dem anderen. Es wäre mühsam, hier alle Themen aufzuzählen, stellvertretend für die gesamte Bandbreite werden in nebenstehender Rubrik die Titel aller Referate, Diskussionen und Aktionen genannt.

 

Kernveranstaltung und Rahmenprogramm

Die Kern- bzw. Hauptveranstaltung fand an einem Wochenende statt und bestand zum einen aus etwa 40 Ausstellungen und Informationsständen, zum anderen aus Aktionen und Vorträgen. Den Auftakt bildete auch diesmal eine Eröffnungsfeier in größerem Rahmen, zu der als Schirmherrin die bayerische Sozialministerin Barbara Stamm begrüßt werden konnte. Die Redebeiträge wurden durch Musik und Tanzvorführungen von Schülerinnen aufgelockert, anschließend gab es die Möglichkeit, bei gesundheitsbewusstem Buffet Gedanken auszutauschen und sich kennenzulernen.

Der Samstag startete mit einem Biobauernmarkt, auf dem biologisch wirtschaftende Landwirte aus der Region ihre Produkte anboten. Die Aussteller konnten ihre Produkte oder Informationen am Samstag und Sonntag jeweils von 10 bis 18 Uhr präsentieren. Etwa zwei Drittel der Aussteller konnte in Zelten untergebracht werden, für das restliche Drittel stellte die benachbarte Mädchenrealschule Räumlichkeiten zur Verfügung. Die Erfahrung zeigt, dass die Besucher offene Räumlichkeiten wie Zelte eindeutig bevorzugen. Die Organisatoren nehmen an, dass die lockere Ausstellungsatmosphäre in Zelten weniger verbindlich wirkt und die Hemmschwelle für den daher Besucher niedriger ist. Alle Mitmachaktionen, die die Besucher zu Aktivitäten aufforderten, z. B. der „Parcours der Sinne“ des Gesundheitsamts oder die Rollstuhlaktion mit der Möglichkeit, die Erfahrungen in einem Rollstuhl nachzuempfinden, fanden großen Anklang. Kabarettistische Einlagen („Heilkunst im Mittelalter“) und Livemusik (von Akkordeonorchester bis zur Sambagruppe) lockerten die Atmosphäre auf. Da Gesundheit und Umwelt bekanntlich auch durch den Magen gehen, wurde für die Bewirtung vor allem Vollwertkost in phantasievollen Variationen angeboten – ganz nach dem Motto „mal etwas anderes probieren“, daneben auch ausländische Spezialitäten – außerdem Biere und Weine aus ökologischem Anbau. Organisiert wurde die Verpflegung vor allem von nichtprofessionellen Anbietern wie örtlichen Vereinen und Initiativen. Sitzmöglichkeiten luden zum Essen, Trinken, zum Ausruhen, zum Kennenlernen und zum Gedankenaustausch ein.

Um das Ausstellungswochenende nicht mit zu vielen Vorträgen und Einzelveranstaltungen zu überfrachten, wurde der größere Teil der Vortragsveranstaltung in ein Rahmenprogramm gelegt, das sich über vier Wochen nach der Hauptveranstaltung verteilte. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vorteil dieser Entzerrung war, dass die Gesundheits- und Umwelttage über Wochen Gesprächsthema blieben, was sich nicht zuletzt in der ausführlichen Berichterstattung der Lokalpresse widerspiegelte.

 

Besucherresonanz

Aussteller, Referenten und Sponsoren sind gleichermaßen an Besucherzahlen interessiert. Da alle Ausstellungen kostenlos zu besichtigen waren und daher auch keine Eintrittskarten verkauft wurden, lassen sich die Besucher hier nur schätzen.

Etwa vier- bis fünftausend Besucher mögen die Ausstellungen in den Zelten und den Schulräumen besucht haben – für eine Kleinstadt eine sehr beachtliche Resonanz. Das Ausstellungswochenende zeigte jedoch auch deutlich, dass Quantität nicht der einzige Maßstab ist, nach dem man den Erfolg einer Ausstellung beurteilen sollte. Termin und Ort der Ausstellung waren nämlich diesmal so gewählt worden, dass sie auch zeitgleich mit der am Sonntag in unmittelbarer Nachbarschaft abgehaltenen Herbstdult („Jahrmarkt“) stattfand, zu der jedes Jahr auch  zahlreiche Besucher aus dem Umland erwartet werden – selbst bei schlechter Witterung. So konnte man auch Bevölkerungs- schichten erreichen, die wegen der Gesundheits- und Umwelttage allein nicht in die Stadt gekommen wären. Bei der Abschlussdiskussion stellte sich jedoch heraus, dass mehrere Aussteller die Resonanz am dultfreien Samstag positiver einschätzten, weil hier eher das speziell am Thema interessierte Publikum kam und es zahlreiche interessante Einzelgespräche gab. Am Sonntag hingegen – mit weit mehr Besuchern – herrschte eher Massenbetrieb, der intensivere Kontakte eher behinderte. Trotzdem war die Mehrheit der Aussteller dafür, die nächste Veranstaltung wieder am Dultwochenende zu planen.

Einen genaueren Überblick haben die Veranstalter über die Besucher an Aktionen und Vortragsveranstaltungen. Manchen Veranstaltern oder Referenten war von vornherein klar, dass sich ihre Vorträge oder Diskussionen nur an ein kleines Publikum richten würden, so dass auch 20 bis 30 Besucher durchaus als Erfolg gesehen wurden. Der überwiegende Teil der Veranstaltungen hatte dagegen 40 bis 60 Besucher, auch hier eine erfreulich positive Resonanz. Als besonders erfolgreich stellte sich der Vortrag über Knochenverschleiß (170 Zuhörer) und der Tag der offenen Tür bei der Papierfabrik Leinfelder (etwa 500 Teilnehmer) heraus. Mit insgesamt etwa 2.000 Gesamtbesuchern von Vortragsveranstaltungen und Aktionen können die Veranstalter sehr zufrieden sein.

 

Die Beteiligung der Schulen

Wie schon bei der Veranstaltung zwei Jahre zuvor wurden die Schrobenhausener Schulen von vorneherein miteinbezogen.  Schulleiter aller Schulen sowie interessierte Lehrer wurden eingeladen, die Gesundheits- und Umwelttage mit einem geeigneten Unterrichtsprogramm zu begleiten. Fast alle Schulen ließen sich begeistern und nahmen die Möglichkeit wahr, in den Wochen nach der Hauptveranstaltung Aktionen und Unterrichtseinheiten durchzuführen. Im folgenden sollen nur einige repräsentative Beispiele der Unterrichtsgestaltung erwähnt werden: In der Grundschule startete die Aktion „Gesundes Pausenfrühstück“ sowie eine Buchausstellung zum Themenkreis Gesundheit und Umwelt. Die Hauptschule widmete einen Aktionstag dem Themenkreis Drogen, die Mädchenrealschule beteiligte sich an der Eröffnungsveranstaltung und führte das Projekt Schulhofbegrünung fort, die Knabenrealschule beschäftigte sich mit ökologischen Fragen wie nachwachsenden Rohstoffen und Wärmedämmung, im Gymnasium entstanden Arbeitsgruppen zu alternativen Energieformen. Insgesamt also sehr ermutigende Ergebnisse, vor allem vor dem Hintergrund sich ausbreitender Umwelt- und Zukunftsängste bei Kindern und Jugendlichen, denen mit Aufklärung und aktivem Handeln entgegengewirkt werden kann.

 

Kosten, Zuschüsse, Sponsoren

Die Stadt Schrobenhausen hatte die Trägerschaft für die Gesundheits- und Umwelttage übernommen und musste natürlich einen entsprechenden Anteil an den Gesamtkosten tragen. Die angespannte Haushaltslage der Stadt erlaubte es nicht, aus dem vollen zu schöpfen. Von vorneherein war klar, dass die Kosten möglichst niedrig gehalten werden mussten. So versuchte man, überall dort Kosten zu sparen, wo keine qualitative Beein- trächtigung zu befürchten war. Da sich die Veranstaltung nicht nur an die Bürger der Stadt, sondern auch die des Umlandes richtete, war auch der Landkreis bereit, einen Zuschuss zu gewähren. Ein Spendenaufruf an Schrobenhausener Firmen und Privatpersonen brachte zusätzlich Geld in die Kasse. Auch die örtlichen Banken unterstützten die Veranstaltung großzügig, nicht zuletzt, indem sie ihre Räumlichkeiten für zahlreiche Vorträge kostenlos zur Verfügung stellten.

Stand- bzw. Platzgelder wurden nicht erhoben. Zum einen handelte es sich zum Teil um nichtprofessionelle Aussteller, andere Aussteller hätte man mit hohen Standgebühren eher verschreckt. Dafür wurden auch alle Unkosten für den Aufbau der Stände und für Transport von den Ausstellern selbst übernommen. Für die Ausstellungszeit schloss die Stadt Schrobenhausen eine Ausstellungsversicherung ab, da vor allem bei technischen Geräten sehr schnell hohe Sachwerte zusammenkommen. Auch die meisten Referenten waren bereit, die Schrobenhausener Gesundheits- und Umwelttage dadurch zu unterstützen, dass sie sich kostenlos oder doch kostengünstig zur Verfügung stellten. So konnten die Gesundheits- und Umwelttage 1996 mit einem Gesamtetat von etwa 30.000 DM abgeschlossen werden. Eine Grobschätzung zeigt, dass etwa ein Viertel des Gesamtetats auf Programm und Verteilung, ein weiteres Viertel auf Aufbau und Nutzung der Zelte entfiel, der Rest teilte sich auf die vielen kleineren Ausgaben auf. Von den Gesamtkosten trug etwa die Hälfte die Stadt Schrobenhausen, etwa ein Viertel der Landkreis Neuburg-Schrobenhausen, das letzte Viertel wurden über Spenden finanziert.

 

Erfolge und Kritik

Schon während der Hauptveranstaltung und dann im Verlauf des Rahmenprogramms kristallisierte sich eine positive Grundstimmung bei Ausstellern und Referenten heraus. Ein detailliertes Urteil wurde nach Abschluss des Gesamtprogramms mit Hilfe eines Fragebogens ermittelt, der allen Beteiligten vorgelegt wurde. Gefragt wurde etwa nach der Zufriedenheit mit der Besucherresonanz und dem Gesamtablauf, auch sollte Kritik geäußert, sollten Verbesserungsvorschläge gemacht werden. Wie bei einer Veranstaltung dieses Ausmaßes nicht anders zu erwarten, gab es einige Aussteller und Referenten, die von der Resonanz eher enttäuscht waren, wobei vielleicht mangelnde Vorbereitung, falsche Themenstellung, falscher Zeitpunkt oder Veranstaltungsort eine Rolle spielten. Die große Mehrheit der Veranstalter war jedoch zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Ein Referent drückte die Grundstimmung so aus: „Die Begeisterung der Organisatoren hat angesteckt.“

Was von den einzelnen Beteiligten als Erfolg gewertet wurde, ist natürlich unterschiedlich: Firmen sehen den Erfolg darin, ob es gelang, ihre Produkte einem größeren Publikum nahezubringen. Ebenso messen Vereine und Initiativen daran, wie groß das Interesse der Besucher an ihrer Arbeit war. Als Gesamtorganisator setzt man auch noch andere Maßstäbe, beurteilt die Gesamtwirkung auf die öffentliche Meinung und auf politische Entscheidungsträger.

Die Gesamtresonanz in der Öffentlichkeit war fast ausschließlich sehr positiv, was sich nicht nur in zahlreichen persönlichen Gesprächen ausdrückte, sondern auch in der sehr ausführlichen Berichterstattung der lokalen Presse. So waren die Veranstaltungen der Gesundheits- und Umwelttage über Wochen hinweg Tagesgespräch und auch in den Schlagzeilen der Schrobenhausener Zeitung zu finden. So wurden über die Zeitung auch noch all jene informiert, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht den Weg zu den Ausstellungen und Vorträgen fanden.

Die große Resonanz bei Bevölkerung und Presse bleibt natürlich auch im Kommunalparlament nicht ungehört. So wurde die Stellung der Stadträte, die als Referenten die Bereiche Umwelt und Energie sowie Gesundheit und Soziales betreuen, im Stadtgremium gestärkt – nicht zuletzt auch dank ihres überdurchschnittlichen Engagements im Rahmen der Gesundheits- und Umwelttage. Durch die breite Resonanz, die die Themen Gesundheit und Umwelt nun zum wiederholten Mal in der Öffentlichkeit hatten, fällt es den Stadträten nun wohl auch leichter, positive Entscheidungen für Umwelt und Gesundheit im lokalen Rahmen zu treffen.

War ein Hauptziel der Veranstalter, tausendfach Denkanstöße zu geben, so ist dieses Ziel bei mehr als 6.000 Gesamtbesuchern sicherlich erreicht. Nicht zu unterschätzen sind auch die vielen kleinen Erfolge im persönlichen Bereich, z. B. die zahlreichen Anregungen und Gespräche, auch über eingefahrene gesellschaftliche Grenzen hinweg; die Zeit, sich Themen zu widmen, mit denen man sich immer schon mal beschäftigen wollte – oder die Erfahrung, dass man mit seinen Zielen nicht allein dasteht. Die Aktivitäten wirken in Teilbereichen weiter: So hat sich bei den Gesundheits- und Umwelttagen eine Gruppe Gleichgesinnter zusammengetan und ein Bürgerprojekt ins Leben gerufen, das sich im kommunalen Bereich für umweltfreundliche Energien starkmachen will. Eine weitere Initiative will eine Hospizbewegung in Schrobenhausen ins Leben rufen.

Letztendlich haben die Beteiligten die Erfahrung gemacht, dass das Engagement von Bürgern öffentliche Wirkung zeigen kann, dass es gelingt, Einfluss zu nehmen, Erfolge zu erzielen, Veränderungen voranzutreiben – kurz: Politik zu machen. Deshalb war man sich in der Schlussbesprechung auch einig, die Gesundheits- und Umwelttage in zwei Jahren in bewährter Form wieder abzuhalten.

 

Max Direktor




Geschichte der Neuburger Presse von 1918 bis 1951

Die erste Nummer der „Neuburger Nationalzeitung“ – Beispiel für eine völlig gleichgeschaltete Presse

Die Geschichte der Presse führt oft ein Schattendasein in der Orts- und Regionalgeschichte. Zu Unrecht. Denn lange Zeit war die Presse politisch, ja parteipolitisch geprägt, die Publikationen beeinflussten die Leser, in unserem Landkreis im genannten Zeitraum oft im konservativen oder gar nationalsozialistischen Sinn.

Im Jahr 2008 präsentierte das Neuburger Stadtmuseum in enger Zusammenarbeit mit dem Neuburger Stadtarchiv und der Katholischen Universität Eichstätt die Ausstellung „Umbrüche. Leben in Neuburg und Umgebung 1918 bis 1948“. Begleitend zur Ausstellung, die vom 28. März bis 5. Oktober 2008 im Stadtmuseum und im Neuburger Schloss zu sehen war, ist ein umfangreicher Katalogband erschienen. der nicht nur die wichtigsten Exponate der Ausstellung dauerhaft festgehalten hat, sondern gleichzeitig über zahlreiche Aufsätze tiefe Einblicke in diesen Zeitraum  gewährt.

Der Band präsentiert Aufsätze zum Beispiel zu Themen wie Stadtentwicklung, Novemberrevolution, Parteien und politische Bewegungen in der Weimarer Republik, die Stellung der Arbeiterbewegung in einer wenig industriell geprägten Stadt, den Aufstieg des Nationalsozialismus, die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs, die Zwangsarbeit, den Einmarsch der Amerikaner und die Entnazifizierung. Die Entwicklung Neuburgs in diesem Zeitraum ist oft  symptomatisch für andere bayerische Kleinstädte und deshalb weit über lokale Grenzen hinaus interessant.

Der Band ist inzwischen vergriffen. Das Stadtarchiv hat daher einige Aufsätze freigeschaltet und damit für alle nutzbar gemacht. Zum Schluss dieses Überblicks verlinken wir auf den Aufsatz zur Neuburger Pressegeschichte.

Auch heute sind Tageszeitungen politisch nicht völlig neutral: Sie lassen sich in der Regel in ein politisches Spektrum einordnen, doch steht meist ein selbst gestecktes Ziel der objektiven Berichterstattung im Vordergrund. Anders noch in der Weimarer Republik, hier war die Tagespresse zum großen Teil parteipolitisch oder weltanschaulich bestimmt oder doch geprägt. So bekannte sich das Neuburger Anzeigeblatt mit der höchsten Auflage in Stadt und Bezirk ausdrücklich zur Bayerischen Volkspartei (BVP), einer katholischen Partei, die zunächst die Weimarer Koalition unterstützte, jedoch auch viele monarchische Elemente in sich trug und schließlich 1933 auch für das Ermächtigungsgesetz stimmte.

Auch andere, zum Teil nur kurzfristig erschienene Pressepublikationen, waren parteipolitisch geprägt:  so die Neuburger Freie Zeitung des Bayerischen Bauernbundes oder die Schwäbische  Volksstimme der Nationalsozialisten. Gegen Ende der Weimarer Republik versuchte der nationalsozialistische Donaubote aus Ingolstadt in Neuburg Fuß zu fassen – mit dem Ergebnis, dass die zweite Neuburger Zeitung, die Neuburger Neuesten Nachrichten, sich den Nationalsozialisten öffneten. Das Jahr 1933 bedeutete schließlich die Gleichschaltung der Neuburger Presse im nationalsozialistischen Sinn.

Die Presselandschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde in unserer Region durch die Pressepolitik der Amerikanischen Militärregierung bestimmt, mit der die alte kleinräumige Presselandschaft abgelöst werden sollte. Erreicht wurde dies durch die Vergabe von regionalen  Presselizenzen, zum Beispiel für die SCHWÄBISCHE LANDESZEITUNG in Augsburg und den DONAUKURIER in Ingolstadt – beide schließlich auch mit Lokalausgaben. Noch heute sind diese Lizenzgebiete über die Verbreitungsgebiete der AUGSBURGER ALLGEMEINEN und des DONAUKURIER nachvollziehbar.

Der Überblick über die Pressegeschichte gibt zugleich einen tiefen Einblick in die politische Entwicklung von Stadt und Landkreis Neuburg. Der gesamte Artikel kann über die Homepage des Stadtarchivs Neuburg heruntergeladen werden, nämlich hier.

 

Der Katalogband „Umbrüche“

Dietmar Grypa / Barbara Höglmeier / Barbara Zeitelhack: UMBRÜCHE – Leben in Neuburg und Umgebung 1918 – 1948, Neuburg 2008 (Stadtmuseum, 516 S.)

Eine Inhaltsangabe mit weiteren freigeschalteten Aufsätzen finden Sie hier.

Der Band „Umbrüche“ ist noch mit etwas Glück antiquarisch erhältlich , eine gute Suchmöglichkeit bietet das Portal www.eurobuch.de.

Ansonsten kann man den Band über das Stadtarchiv Neuburg, die Staatliche Bibliothek Neuburg, den Historischen Verein Neuburg und die Neuburger Stadtbücherei nutzen.

Auch im Stadtarchiv Schrobenhausen ist der Band einsehbar, da es die Ausstellung mit zahlreichen zeitgenössischen Exponaten allgemeinen Inhalts unterstützt hat.

 

Presse oft vernachässigt: Pressegeschichte als wichtiger Teil der Regionalgeschichte




Als das Internet nach Schrobenhausen kam

Ein wenig Vorgeschichte

Kein World Wide Web, keine E-Mail und kein Smartphone? Wer heute 25 Jahre alt ist, kann sich eine Welt ohne Internet wohl nur schwer vorstellen. Doch ist es erst gut 25 Jahre her, als Schrobenhausen seinen ersten bezahlbaren Internet-Zugang erhielt. Und das dank einer zivilgesellschaftlichen Initiative namens „Bürgernetz Neuburg-Schrobenhausen e. V.“ Denn die großen, marktbeherrschenden Provider gab es damals noch gar nicht.

Wer 1995 ins Internet wollte, mußte sich auf ein technisches Abenteuer und ein kostspieliges Vergnügen einlassen. Zugänge gab es zwar bereits einige, aber nicht in Schrobenhausen. Eine Einwahlmöglichkeit gab es zum Beispiel in München – das kostete allein an Telefongebühren pro Stunde 19,60 DM. Hinzu kamen Kosten für den Anbieter und für die Anschaffung eines Modems. Zwei, denen das alles nicht gefiel, trafen sich im Dezember 1995 zufällig in einem Schrobenhausener Supermarkt am Regal mit dem Computer-Zeitschriften und hatten die gleiche Idee: Es müßte doch möglich sein, meinten Informatik-Student Martin Fenn und vhs-Leiter Benno Bickel, in Schrobenhausen vor Ort einen Internet-Zugang  zu schaffen, bei dem nur die Gebühren des damaligen Ortstarifs der Telekom anfallen. Ein Aufruf im Frühjahrs-Programm der Volkshochschule Schrobenhausen, das kurz vor der Drucklegung stand, sollte Gleichgesinnte motivieren. Die Einladung, dieses recht anspruchsvolle Projekt anzugehen, fiel auf fruchtbaren Boden. Aus Neuburg meldete sich Franz-Josef Simon, damals Leiter der Landkreisbetriebe, der die gleichen Ambitionen hatte. Wenige Wochen später wurde Verein „Bürgernetz Neuburg-Schrobenhausen e. V.“ gegründet. Zehn Monate später – das mutet heute erstaunlich schnell an – ging der lokale Internet-Zugang in Betrieb, wobei politische und juristische Fragen oft mehr Zeit in Anspruch nahmen als die Technik, mit der immerhin Neuland betreten wurde.

Aufruf im Frühjahrs-Programm 1996 der Volkshochschule Schrobenhausen

Für  die technische Umsetzung sorgte in Schrobenhausen, das damals zu den Internet-Pionieren in Bayern zählte, der Verein „Schrobenhausen Online e. V.“ Die Server nebst dazugehörender Technik wie Modems, ISDN-Leitungen etc. standen im Keller der Franz-von-Lenbach-Realschule. So fand denn auch die offizielle Eröffnung des „Bürgernetzes Neuburg-Schrobenhausen“ am 28. November 1996 in der Aula dieser Schule statt. In unveränderten Wortlaut veröffentlichen wir hier als kleines Dokument aus den Kindertagen der „Digitalisierung“ eine Rede, die aus diesem Anlass gehalten wurde.

Rede zur Eröffnung des „Bürgernetzes Neuburg-Schrobenhausen“ am 28. November 1996

1838, drei Jahre nachdem die erste deutsche Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth dampfte, soll ein Medizinalgutachten erschienen sein, wonach bei Geschwindigkeiten über 40 km/h die Reisenden ganz unweigerlich einem jähen Tode ausgeliefert seien. Solches Tempo, hieß es, könne der menschliche Körper keinesfalls ertragen. Nun steht zwar heute nirgendwo zu lesen, daß der Datentransport mit mehr als zwei Megabit letal endet. Dennoch haben das frühe 19. und das späte 20. Jahrhundert vieles gemeinsam. Damals wie heute war die Menschheit mit einer Revolution der Kommunikation konfrontiert. War es damals der physische Transport von Menschen und Gütern, so ist es heute die Übermittlung von Information. Und damals wie heute wußten viele Menschen nicht so recht, was sie von all diesen nur schwer einschätzbaren Entwicklungen halten sollen.

"Homepage" des Bürgernetzes Schrobenhausen

Erster Internet-Auftritt: BürgernetzNeuburg-Schrobenhausen – Testbetrieb im Mai 1996 (Screenshot: Bürgernetz Neuburg-Schrobenhausen)

Die Eisenbahn bedeute das Ende aller Kriege, sagten Kulturoptimisten eine goldene Zukunft voraus. Und die Pessimisten sahen das Abendland mit Schnellzugtempo in den Abgrund des Maschinenzeitalters rasen. Haben wir Grund, darüber heute überheblich zu lächeln? Das Internet, prophezeien die einen, führe dank unbegrenzt verfügbarer Information zu selbstverantworteter Basisdemokratie und rationaler Entscheidungsfindung. Das Internet, prophezeien die anderen, führe unweigerlich zum gläsernen Menschen, zum totalen Überwachungsstaat, zur Mediokratie. Abstufungen zwischen diesen beiden Extremen, vermengt mit Mythen, Legenden und waghalsigen Prognosen, finden Sie in jeder Computer-Zeitschrift.

Wie auch immer. Das Internet ist da. Und es wird zunehmend unseren Alltag mitbestimmen. Ob wir das Internet wollen oder nicht, ist dabei völlig belanglos. Wir werden nicht gefragt. Wesentlich ist, was wir aus dem Internet machen. Entscheidend ist, ob wir uns passiv dareinfügen und nur konsumieren, oder ob wir unser „digitales Geschick“ selber in die Hand nehmen, mitbestimmen und mitgestalten.

Die bayerischen Bürgernetze sind ein hervorragendes Instrumentarium, um einen selbstbestimmten und verantwortungsvollen Umgang mit dem Medium Internet zu erlernen. Umso mehr freut es uns, daß der Landkreis Neuburg-Schrobenhausen zu den Pionieren zählt, zu den ersten Landkreisen, die in diesen Wochen und Monaten an’s Netz gehen. So haben wir allen Grund, heute ein wenig zu feiern. Und daß wir feiern können, das ist in erster Linie der Initiative und Aufgeschlossenheit von Landrat Dr. Richard Keßler zu danken. Ebenso danken wir dem Kreistag, der die nicht unerheblichen Mittel für die Anschaffung der Technik und die laufenden Betriebskosten bereitgestellt hat.

Das Bürgernetz Neuburg-Schrobenhausen bietet allen Bürgern einen Internet-Zugang ohne teure Gebühren. Es fallen lediglich die Telefonkosten zum Ortstarif an. Darüberhinaus will das Bürgernetz aber auch lokale Informationen aus dem Kreisgebiet, den beiden Städten und den Gemeinden bieten. Hier sind alle Bürger herzlich eingeladen und aufgerufen mitzumachen. Und je mehr sich beteiligen, desto lebendiger wird dieses lokale Informationssystem, das vom Behördenwegweiser über politische und Vereinsnachrichten bis zum Veranstaltungskalender, den Fußballergebnissen und der Theaterkritik vom Wochenende reichen kann. Anregungen dazu wollen die bereits bestehenden Informationsseiten der beiden Städte Neuburg und Schrobenhausen, der Gemeinden Aresing, Karlshuld und Brunnen geben. Und wir hoffen – mit dem heutigen Eröffnungstag stehen wir ja erst ganz am Anfang -, daß die noch bestehenden weißen Flecken auf der Landkreiskarte in den nächsten Monaten immer weniger werden.

Wenn Sie mitmachen wollen, so geben Ihnen das Bürgernetz und die beiden Betreibervereine „Neuburg Online“ und „Schrobenhausen Online“ jederzeit gerne Auskunft. Sicher werden sich einige von Ihnen fragen, warum man für ein Netz gleich drei Vereine braucht. Ist da vielleicht wieder einmal die in Strukturen selbstverliebte Vereinsmeierei zugange? Oder will gar jeder sein eigenes Süppchen kochen? Keineswegs! Die Erklärung ist ganz einfach. Die Welt der Kommunikation hat sich etwas rascher entwickelt als das Steuerrecht. Und so wurde es erforderlich, für den Betrieb der Einwählcomputer – der eine in Schrobenhausen wird heute eröffnet, der andere in Neuburg soll bald folgen – eigene Vereine ins Leben zu rufen. Aber seien Sie versichert: Wir machen und wollen alle dasselbe!

Sie werden sich vielleicht schon gewundert haben, wo bleibt die Computer-Fachsprache in dieser Rede? Wann geht’s endlich los mit dem abschreckend-geheimbündlerischen Kauderwelsch, im Vergleich zu dem uns Chinesisch vertraut erscheint wie ein bayrischer Dialekt? Ich muß Sie – hoffentlich angenehm – enttäuschen! Was Sie als Nutzer des Bürgernetzes wissen müssen, können Sie in ganz normalem Deutsch erfahren.

Wenn Sie Anfänger sind, meiden Sie am besten den Umgang mit selbsternannten Experten hinter deren fachsprachlichen Tiraden sich in der Regel bestenfalls ein Mangel an Kompetenz oder Charakter, manchmal auch an beidem, verbirgt. Wer seinen Videorecorder oder seine Programm-Waschmaschine beherrscht, kommt auch mit dem Internet zurecht.

Um Nutzer des Bürgernetzes zu werden, benötigen Sie einen Computer, eine Verbindung zwischen Computer und Telefon und einige Zugangsprogramme. Sie können dann eine Verbindung zwischen ihrem Computer und dem Einwählcomputer des Bürgernetzes herstellen, der hier im Keller der Franz-von-Lenbach-Schule untergebracht ist. Von diesem Einwählcomputer können Sie alle lokalen Informationen abrufen, die Sie interessieren. Sie können aber auch ins weltweite Internet gehen, indem Sie die entsprechende Adresse eingeben oder in einem großen Register, einer sogenannten Suchmaschine, ein Stichwort eintippen.

Der Server-Schrank des Bürgernetzes Neuburg-Schrobenhausen im "Haus im Moos".

Der Server-Schrank des Bürgernetzes Neuburg-Schrobenhausen im „Haus im Moos“.

Vielleicht interessiert Sie auch, wie man vom Keller der Realschule in den Rest der Welt kommt? Da ist zuerst eine Standleitung, eine ständig geschaltete Telefonleitung, die zur Fachhochschule in Ingolstadt führt, wo sich der nächsthöhere Einwählcomputer befindet. Von da führt eine Leitung des Deutsches Forschungsnetzes DFN zur Universität Eichstätt, von da führt eine weitere DFN- Leitung zum nächsthöheren Knoten. Und so geht das weiter, bis Sie – häufig, aber nicht immer – in Sekundenschnelle über ein Tiefseekabel oder eine Satellitenverbindung in den USA, in Australien oder sonstwo landen. Es gibt nur mehr wenige Länder, die nicht am Internet hängen, beispielsweise die Zentralafrikanische Republik oder Laos.

Doch zurück nach Schrobenhausen und zur anderen Seite des Einwählcomputers. Auf dieser anderen Seite befinden sich 16 Telefonleitungen – acht althergebrachte und acht sogenannte ISDN-Leitungen -, die sich allesamt mit der gleichen Nummer anwählen lassen. Es können sich also maximal 16 Nutzer gleichzeitig einwählen. Wir sind übrigens gespannt, wie lange diese Kapazitäten ausreichen. Sie sehen, so einfach ist es, ins Internet zu gehen!

Die größte Hürde, die Sie als neuer Nutzer erwartet, ist das Antragsformular, das Sie ausfüllen müssen. Denn ganz ohne Bürokratie geht es leider nicht. Dann aber steht Ihnen die weite Welt des Internets offen. Und was immer Sie in diesem unerschöpflichen Reservoir an Information suchen, wir wünschen Ihnen, daß Sie es finden. Sei es nun der letzte Brief von Karoline von Günderode an Achim von Armin – die richtige Adresse lautet hier University of Massachusetts – oder der Würzburger Pizzaservice – wir wünschen Ihnen viel Erfolg im Bürgernetz Neuburg-Schrobenhausen.

Benno Bickel
stellv. Vorsitzender „Bürgernetz”; 1. Vorsitzender „Schrobenhausen Online e. V.“




Ortschaftenverzeichnisse als hervorragende lokalgeschichtliche Quelle

Ortschaftenverzeichnisse gehören zu den bedeutendsten orts- und sozialgeschichtlichen Quellen. Sie wurden von 1877 bis 1991 zunächst vom Königlich Bayerischen Statistischen Bureau, ab 1920 vom Bayerischen Statistischen Landesamt herausgegeben. Sie enthalten nicht nur Daten zu den einzelnen Gemeinden, sondern auch zu deren Ortsteilen, also den einzelnen Dörfern, Weilern und Einöden. Alle diese Ortschaftenverzeichnisse sind inzwischen online nutzbar.

Beispiel 

Volkszählung 1900 (Ortschaftenverzeichnis 1904)

Abkürzungen

Gem. = Gemeinde, Ldg. = Landgemeinde, Pfd. = Pfarrdorf, D. = Dorf, E. = Einöde, W. = Weiler

Einw. = Einwohner, Wgb. = Wohngebäude, ha = Hektar

Pf. = Pfarrei, K. = Katholiken,  k. = katholisch, Pr. = Protestanten, pr. = protestantisch, Dek. = Dekanat

P. = Pferde, Rv. = Rindvieh, Schw. = Schweine, Sch. = Schafe, Z = Ziegen

Ausführliche Abkürzungsverzeichnisse befinden sich am Anfang des jeweiligen Bandes.

Bezeichnungen

Die Benutzung wird vereinfacht, wenn man sich mit folgenden Informationen vertraut macht.

Bezirksämter (seit 1862) waren die unteren staatlichen Verwaltungseinheiten, sie wurden 1939 in „Landkreise“ umbenannt.

Kreise (seit 1808) waren die regionalen Verwaltungseinheiten, sie wurden 1939 in Regierungsbezirke umbenannt.

Kreisunmittelbare (auch unmittelbare) Städte waren größere oder bedeutendere Städte, die direkt dem „Kreis“ unterstanden und nicht einem Bezirksamt (für unseren Landkreis nur die Stadt Neuburg).

Kreisfreie Städte: Nach der Umbenennung der Bezirksämter in Landkreise Städte, die nicht direkt dem Landkreis untergeordnet („kreisfrei“) waren, sondern dem Regierungsbezirk.  Für unseren Landkreis nur die Stadt Neuburg, die von 1940 bis 1948 nicht kreisfrei war und seit 1972 nicht mehr ist.

 

Kreisunmittelbare bzw. kreisfreie Städte werden in den Bänden unter eigenem Gliederungspunkt aufgeführt.

 

Zugehörigkeit zu Regierungsbezirken

Das Bezirksamt bzw. der Landkreis Neuburg gehörte bis 1972 zum Kreis bzw. Regierungsbezirk Schwaben. Das Bezirksamt bzw. der Landkreis Schrobenhausen gehörte durchgehend zu Oberbayern. Seit 1972 gehört der Landkreis Neuburg-Schrobenhausen zu Oberbayern.

 

Bayernweite Daten

Im ersten Teil finden wir jeweils bayernweite statistische Überblicke, eine Übersicht der Hof- und Staatsverwaltung und der Ministerien, dabei auch eine Übersicht über die Distriktsgemeinden, die Organisation des Schulwesens, über die staatlichen Behörden wie Amtsgerichte, Rent- bzw. Finanzämter, Vermessungsämter, die Gliederung der Bayerischen Armee (vor 1918) – und für die Recherche wichtig: auch die territorialen Änderungen der einzelnen Bezirksämter bzw. Landkreise. Außerdem finden sich in den Ortsverzeichnissen ab 1928 Karten zur Verwaltungsgliederung Bayerns.

 

Lokale Informationen

Das findet man zum Beispiel  in den Ortschaftenverzeichnissen (nicht alle genannten Daten wurden durchgehend erhoben):

  • Gemeinde mit allen Ortsteilen (Dörfer, Weiler, Einöden)
  • Gebietsgröße
  • Einwohnerzahlen (auch Konfessionen)
  • Zahl der Gebäude
  • Viehstand: Pferde, Kühe, Schweine, Schafe, Ziegen
  • Zugehörigkeit zu Pfarreien und Schulen
  • Bahnstationen und Postagenturen

 

Ortsregister

Das ausführliche Ortsregister listet alle Orte Bayerns auf und ermöglicht das Auffinden im jeweiligen Band. Es erleichtert auch das Auffinden von unbekannten Orten bzw. Orten ähnlicher oder gleicher Schreibweise.

 

Bände

Die einzelnen Bände der Ortschaften- bzw. Ortsverzeichnisse werden über die Bayerische Landesbibliothek Online zur Verfügung gestellt …. hier

Dort findet sich auch eine ausführliche Darstellung der statistischen Erhebungen und ihrer wissenschaftlichen Bedeutung.

 

Folgende Bände sind erschienen (Datenerhebung, in Klammer Erscheinungsjahr):

1875 (1877), 1883/85 (1888), 1900 (1904),  1925/28 (1928), 1959/52 (1952), 1961(64 (1964), 1970/73 (1973), 1970/78 (1978), 1987/90 (1991).

 

Bedeutung

Die Landesbibliothek Online schreibt über die wissenschaftliche Bedeutung der Ortsverzeichnisse:

„Die amtlichen Ortsverzeichnisse stellen mit ihren umfassenden statistischen Daten eine umfangreiche und zugleich äußerst verlässliche Quelle zur Siedlungs- und Bevölkerungsentwicklung der jüngeren bayerischen Landesgeschichte und der Zeitgeschichte dar.

Darüber hinaus sind die früheren Ortsverzeichnisse bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wegen ihrer detaillierteren und teils umfangreichen Statistiken eine wichtige Quelle für die bayerische Wirtschafts-, Sozial- und Religionsgeschichte.

Schließlich leisten die amtlichen Ortsverzeichnisse als Nachschlagewerke nicht nur für Ortsnamenforscher, sondern auch für jeden an der jüngeren bayerischen Verwaltungs- und Ortsgeschichte Interessierten unverzichtbare Dienste.“

 

 

 

 




HIAG und PARAXOL im Hagenauer Forst – eine Buchempfehlung

HIAG und PARAXOL im Hagenauer Forst gehören zu den interessantesten Themen der neueren Schrobenhausener Geschichte. Der Langenmosener Wolfgang Haas hat darüber ein Buch verfasst, das wir jedem geschichtlich Interessierten empfehlen möchten. Zusammen mit dem Autor planen wir auch einen umfangreicheren Beitrag auf unserer Website.

Das geheimnisvolle Werk

Jahrzehnte lang war das Werk im Hagenauer Forst bei Schrobenhausen von Geheimnissen umwittert, viele Gerüchte waren im Umlauf, man wusste aber nichts Genaues. Die Geheimhaltung war strengstens geregelt, handelte es sich doch um den Bau und Betrieb eines Rüstungsunternehmens, errichtet im Zusammenhang mit der gewaltigen Aufrüstung und Kriegsvorbereitung der Nationalsozialisten.

Erstes Licht in die Angelegenheit brachte Kreisheimatpfleger Bernhard Rödig schon in den 1990er Jahren. Wolfgang Haas, der 40 Jahre bei der heute hier ansässigen MBDA und ihren Vorgängerfirmen gearbeitet hat, hat sich die Erforschung der Geschichte dieses Industriestandorts praktisch zu einer zweiten Lebensaufgabe gemacht.

Kurz zusammengefasst

„HIAG“: unter diesem Tarnnamen errichtete der Bauherr der Fabrik – die Abkürzung steht für „Holzverkohlungs-Industrie AG“ – zwischen 1938 und 1942 Fabrikgebäude im Hagenauer Forst, der damals noch gemeindefreies Gebiet war.

„PARAXOL“: Nach der Fertigstellung der Anlagen produzierte der Betrieb unter dem Namen „PARAXOL GmbH“ von 1942 bis 1945 Pentaerythrit, ein weißes, unscheinbares Pulver, ein Sprengstoff-Vorprodukt, das in anderen Firmen zu militärischem Sprengstoff weiterverarbeitet wurde. PARAXOL war ein Teil der Firma Degussa und hatte mehrere Betriebsstätten in Deutschland. Die Degussa,  gegründet 1873 als Deutsche Gold- und Silber-Scheide-Anstalt, spezialisierte sich später auf Industriechemikalien und war wie viele andere Unternehmen fest in die nationalsozialistische Kriegswirtschaft verstrickt.

Nach dem Krieg

Nach dem Einmarsch der Amerikaner wurde die Fabrikanlage demontiert, sie wurde in Südfrankreich in der Nähe von Toulouse wieder aufgebaut und produzierte dort bis zum Jahre 1980. Nach dem Krieg zogen Flüchtlinge in das „Lager Paraxol“ ein, das auch eine eigene Schule hatte. Im Jahr 1958 pachtete die Rüstungsfirma Ludwig Bölkow Apparatebau aus Ottobrunn das Gelände, im Jahr 1968 entstand daraus die Firma Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB). Heute ist das Industriegebiet Hagenauer Forst Hauptsitz des Rüstungsunternehmens MBDA Deutschland.

Heute finden wir innerhalb und außerhalb des Firmengeländes noch verwitterte Betonruinen. Viele Fabrik- und Bürogebäude haben die Zeit überdauert und werden auch heute noch genutzt.

Ein Buch entsteht

Wolfgang Haas, selbst 40 Jahre bei der MBDA und den Vorläuferfirmen beschäftigt, hat sich schon immer für die Geschichte des geheimnisvollen Werks im Wald interessiert. Viele Jahre hat er alle Informationen zusammengetragen, keine Mühen gescheut, Zeitzeugen befragt, Dutzende Archive besucht und angeschrieben: Firmenarchive und staatliche Archive, nicht zuletzt auch Archive in Frankreich, Polen, England, den Niederlanden und den USA. Sogar in den Archiven des US-Geheimdienstes CIA waren Dokumente zu finden. Schon früh begann er, seine Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren, zum Beispiel in Vorträgen für die VHS Schrobenhausen.

Schließlich hat er seine Erkenntnisse in einem Buch zusammengefasst, das im Selbstverlag erschienen ist. Doch die Neugier nahm kein Ende und so wurden laufend weitere interessante Dokumente aufgespürt. Sie verschwanden nicht im Schreibtisch, sondern wurden immer wieder in die Buchpublikation eingearbeitet, so dass 2024 bereits die 10. Auflage des Werks erscheinen konnte. Nur wenige Publikationen behandeln ein Thema derartig umfassend in allen Aspekten: vom Bau und Betrieb der Anlage über die komplizierten chemischen Prozesse der Herstellung bis zur geschichtlichen Einbindung in die Aufrüstung der Nationalsozialisten.

Beantwortet werden unter vielen anderen folgende Fragen:

  • wie sind HIAG und PARAXOL entstanden
  • was ist Pentaerythrit
  • welche chemischen Verfahren wurden angewendet
  • welche Funktionen hatten die einzelnen Gebäude
  • wie schwierig war die Wasserversorgung aus der Paar
  • wie erfolgten Anlieferung und Versand über den eigenen „Paraxol-Bahnhof“
  • wie viele Zwangsarbeiter wurden beschäftigt
  • warum wurde das Werk nur leicht bombardiert
  • was geschah nach dem Einmarsch der Amerikaner

Wolfgang Haas würdigt im Vorwort auch die Verdienste von Bernhard und Barbara Rödig, ohne deren Forschungen und Unterstützung seine eigene Forschungsarbeit vielleicht nie in Gang gekommen wäre.

Sehr viel Information für nur 13 Euro

Wolfgang Haas: „Was waren HIAG und PARAXOL im Hagenauer Forst Schrobenhausen“. Das Werk ist im Eigenverlag erschienen, umfasst 168 Seiten im Format DIN A 4, enthält über 200 Fotos, Bilder und Originaldokumente und ist durchgehend vierfarbig gedruckt. Derzeit ist die 2024 erschienene 10. Auflage des Buchs erhältlich.

Es kann zum Selbstkostenpreis von 13 Euro nur direkt vom Autor bezogen werden:

Wolfgang Haas
Goethestraße 5
D-86571 Langenmosen
Tel 08433 – 536
Mail: haas.la@neusob.de