Bei diesem Text handelt es sich um eine Vernissagen-Rede, gehalten am 30. September 2023, anlässlich der Einzelaustellung von Karl Stöger im Schrobenhausener Pflegschloss-Museum.
Es geht los
Ich heiße Sie herzlich willkommen, freue mich namens des Ausstellers über Ihren Besuch und möchte Sie gleich beruhigen: Meine Rede wird kurz sein. Oft und lange genug habe ich mir bei Vernissagen die Beine in den Bauch gestanden, um zu wissen, was Besucher sich wünschen. Kürze!
Eines will ich schon gar nicht, die wunderschönen und wundersamen Bilderlebnisse, die auf Sie warten, wortreich zu zerreden. Deshalb nur fünf Anmerkungen, wobei ich gar nicht verhehlen will, dass meine Worte subjektiv sind. Über einen, mit dem man seit recht genau 40 Jahren befreundet ist, „objektiv“ zu sprechen, ist natürlich völlig unmöglich. – So, das war die erste Anmerkung.
Biografie
Karl Stöger ist einer, den es nach Schrobenhausen verschlagen hat. Zumindest für fast 25 Jahre. Als „Eingeborener“ war ich immer schon neugierig, welches Geschick – Beruf, Liebe, Zufall – Menschen nach Schrobenhausen schickt. Was Schrobenhausen mit ihnen macht und umgekehrt.
Um es kurz zu machen: Karl Stöger zählt für mich zu der eher seltenen Neubürger-Kategorie, die Schrobenhausen unaufdringlich und ohne dezidiertes Sendungsbewusstsein bereichert und beschenkt haben. Auf vielerlei Gebieten, aber vor allem künstlerisch und kulturell. Karl Stöger macht Bücher, Musik, Filme und – natürlich Collagen.
Geboren wurde Karl Stöger am 1. Dezember 1946 in München und durfte im damals ruhigen, noch nicht recht urbanen Stadtteil Allach zusammen mit mehreren Geschwistern in einer ausgesprochen kunstsinnigen Familie aufzuwachsen. Der Vater, von Beruf Architekt, war ein ebenso passionierter Zeichner wie Musiker in einem Streichquartett.
Karl Stöger machte zunächst eine Ausbildung als Schriftsetzer, die man seinen in Schrift und Gestaltung klassisch schönen Büchern in Typographie und Layout bis heute ansieht. Dann beschritt er den zweiten Bildungsweg, studierte Pädagogik, trat seine erste Stelle als Lehrer an, und 1983 – vor 40 Jahren, durfte sich Schrobenhausen darüber freuen, dass er an die Hauptschule versetzt wurde.
Sieben Jahren an der Hauptschule folgten 14 Jahren an der Grundschule. So hat fast eine Generation Schrobenhausener Schülerinnen und Schüler Stögersche Kreativität und Lebenssicht mit auf den Weg bekommen. Denn er war ein ungewöhnlicher Lehrer, wie Eltern und ehemalige Schüler bis heute betonen. Daneben engagierte sich Karl Stöger unter anderem im damals noch jungen „Eine-Welt-Laden“, spielte Bass im Günther-Schilling-Trio und eroberte sich seine neue Heimat Schrobenhausen mit – ja womit? – natürlich mit seinen Collagen.
2006 kehrte Karl Stöger in seine Heimatstadt München zurück und zog das große Los. Er bekam eine der begehrten Wohnungen in der berühmten denkmalgeschützten Wohnsiedlung Borstei an der Dachauer Straße im Stadtteil Moosach. Und da er kein Nehmender, sondern ein Gebender ist, veröffentlichte er seither mehrere Publikationen über die Borstei. Zudem betreut er das Borstei-Museum.
Collage – was ist das eigentlich?
Im Kunstbetrieb, den Geld und nicht Kreativität regiert, sind Collagen ein wenig randständig. Liegt es am Fehlen teurer Farben und goldener Rahmen, wie mal ein Kunsthistoriker gemeint hat? Im Zeitalter von Installation und Performance wohl kaum. Wie auch immer. Die Geschichte der Collage, wie sie in der Kunstgeschichte kanonisiert ist, geht auf das frühe 20. Jahrhundert zurück und beginnt gleich mit zwei großen Namen: Georges Braque und Pablo Picasso, die um 1910 begannen, auf gemalte Bilder Zeitungausschnitte oder auch Tapetenstücke aufzukleben und das Ergebnis „papier collé“ und schließlich schlicht „Collage“ zu nennen. „Collé“ und „Collage“ sind Ableitungen des französischen Verbs „coller“, das „leimen“ oder auch „kleben“ bedeutet. Im Deutschland machte sich der Maler und Dichter Curt Schwitters mit Collagen einen Namen, zeitbedingt dann einen so „schlechten“, dass er als „entarteter Künstler“ 1937 vor den Nationalsozialisten nach Norwegen emigrieren musste. Seine 1919 entstandene Collage „Das Undbild“ hängt heute in Paris im Centre Pompidou. Es gäbe noch eine ganze Reihe weiterer Namen zu nennen, aber wir sind ja hier nicht in der Volkshochschule.
Wie sich die Stadt verändert – wow! (Aha! Die Landesgartenschau!)
Es gibt Collagen, bei denen man den Eindruck gewinnt, der Künstler habe das halbe Sortiment eines durchschnittlichen Baumarkts verarbeitet. Karl Stöger hingegen ist ein Purist, ja ein Minimalist: Seine Collagen, also seine „Klebebilder“ zeichnen sich durch das „Stögersche Reinheitsgebot“ aus: Sie bestehen aus nur zwei Elementen, die noch dazu aus dem gleichen Stoff sind, nämlich bedrucktem Papier. Das gilt für alle, nahezu alle seiner Arbeiten. Wie Sie selber sehen werden.
Ich mache jetzt auch eine Collage, nämlich eine Rede-Collage. Und zitiere, wie Karl Stöger seine Arbeit im Mai 2001 anlässlich einer Einzelausstellung in Schrobenhausens Partnerstadt Bridgnorth beschrieben hat:
„Ich habe mir zur Auflage gemacht, hauptsächlich Bilder zu verwenden, die mir der Alltag auf den Schreibtisch spült: Postkarten, Prospekte, Zeitschriften, Kalender und sogar Hochglanzbildbände, die niemand mit einer Schere anzugreifen wagen würde, sind die Fundgruben für meine Collagen. Je größer das Chaos auf meinem Schreibtisch, umso besser. Bilder sind wie Leute: Es kommt darauf an, wen man trifft und mit wem man dann zusammen(k)lebt.“
Mehr als „Schere, Klebstoff und ein paar Bilder“ brauche es dazu nicht. Und wenn all das den Schreibtisch bevölkere, ist nach Karl Stögers Erfahrung das eigentlich schwierige, keine Collage zu machen. Denn die Bilder auf dem Schreibtisch würden sich wie von selbst zu „Kindern des Zufalls“ zusammenfinden. Eine Replik dieses magischen Schreibtischs finden Sie in dieser Ausstellung.
Das magische Moment will ich ja nicht völlig in Abrede stellen. Doch dass Perspektiven, Proportionen und Farbklänge harmonieren, ist schon dem Auge des Meisters geschuldet. Daneben braucht es noch die schöpferische Seele, um formal Verbundenes zu einem Inhalt, zu einer Botschaft zu verknüpfen, die gern auch sibyllinisch sein darf, einen großen Interpretationsraum öffnet und Spannung erzeugt.
SOB-Collagen
Alltag macht blind oder zumindest unaufmerksam. Wir gehen am Rathaus vorbei, aber sehen wir es? Wir hasten geschäftig über den Stadtwall, aber nehmen wir ihn wahr?
Karl Stögers Collagen können Schrobenhausenerinnen und Schrobenhausenern Schrobenhausen wieder näherbringen. Mal sind es die starken Kontraste der Collagen, mal die kleinen Nuancierungen, subtile Verfremdungen, die den Betrachtenden vermeintlich Wohlbekanntes mit neuen Augen sehen lassen und neue Erkenntnismöglichkeiten eröffnen. Und oft geht dieses Erkennen mit einem Schmunzeln einher. Drei Hauptmotive sind immer wieder präsent:
- Das Rathaus und der Lenbachplatz
- Der Stadtwall
- Lenbachs Hirtenknabe
Das Schrobenhausener Rathaus vor wechselnden Hintergründen, mal exotisch, mal anheimelnd, mal dystopisch, zeigt uns, wo wir sein könnten, wo wir wirklich sind. Karl Stöger bietet auch architektonische Varianten des Rathauses. Mancher wird aufatmen: „Es hätte noch schlimmer kommen können!“
Was wäre Schrobenhausen ohne Stadtwall? Oder, fast noch spannender: Was wäre der Stadtwall ohne Schrobenhausen? Schauen Sie genau hin!
Der knapp 200 Jahre alte Hirtenknabe ist längst aus der Zeit gefallen und drängelt sich trotzdem immer wieder in das Schrobenhausen der Gegenwart. Will er was von uns? Oder wir von ihm?
Sogar Tagesgeschehen eignet sich dazu, auf einer Stöger-Collage interpretiert und manchmal auch glossiert zu werden. Sei es 1986 die Lenbach-Jubiläumsausstellung im Rathaus oder aktuell die Landesgartenschau.
Die Ausstellungsstücke, die Sie heute sehen, sind fast alle – bis auf ein Original hinter Glas – hochwertige Drucke. Denn die Schnittkanten und Kleberänder sind fragil, verführen dazu, die perfekten Übergänge mit dem Finger nachfahren, und schon ist es passiert …
Die Originale der insgesamt gut 200 Schrobenhausen-Collagen hat Karl Stöger dem Stadtarchiv vermacht. Hoffentlich wird dieses Schatzkästlein bewahrt, solange es sie noch gibt, diese unsere Welt.
Non-SOB-Collagen
Dass in einer Schrobenhausener Ausstellung Schrobenhausen-Collagen im Mittelpunkt stehen, ist nachvollziehbar. Doch umfasst diese Werkschau neben 57 Prozent Schrobenhausen auch 42 Prozent „Rest-der-Welt-Collagen“, wie Karl Stöger genau ausgerechnet hat. Diese 42 Prozent repräsentieren mehr als 2000 Collagen, die das Hauptwerk des Künstlers darstellen. Es gibt kein Thema zwischen Himmel und Erde, das vor seiner Schere sicher wäre. Glanz und Elend der Welt, des menschlichen Tuns und Erleidens, Witziges und Abgründiges, Botschaften und Rätsel vereinigen sich zu einem Collagen-Atlas der Erde.
Besonders ziehen Karl Stöger Gegensätze an.
- Hart und weich
- Gestern und heute
- Sanft und grob
- Natur und Maschinenwelt
- Abstraktes und Gegenständliches
- Teile und das Ganze
Oft dienen ihm berühmte Werke der Weltkunst als Grundlage von Umdeutungen und Adaptierungen. So zum Beispiel Marienbilder.
In einem kleinen, aber feinen Büchlein hat er sich jüngst mit der Evolution beschäftigt. Wie herrlich weit haben wir es doch gebracht!
Auch wenn bei uns Schrobenhausenern Schrobenhausen einen etwas größeren Platz auf dem Globus einnimmt als anderswo: Betrachten Sie sich diese Stögerschen Welt-Collagen bitte mindestens so intensiv wie seine „SOBiana“! Sie werden es nicht bereuen.
Klebend die Welt zu verändern zu wollen, ist heute en vogue. Klebend die Welt erkunden, ist Karl Stögers Weg.
- Lassen Sie sich von Karl Stöger eine kleben!
- Gehen Sie ihm vielleicht auch mal auf den Leim!
- Genießen Sie diese Ausstellung!
Anmerkung: Bereits 1988 veröffentlichte Karl Stöger ein Collagen-Buch mit dem Titel Schrobenhausen in anderen Ansichten, das wir anlässlich der Ausstellung als Digitalisat präsentieren.