Vor 50 Jahren drohte der Paartalbahn die Stilllegung

Am 15. Mai 2025 jährte sich die Eröffnung der Paartalbahn zum 150. Mal. Die Strecke präsentiert sich als leistungsfähige Regionalbahn: Stundentakt Augsburg – Schrobenhausen – Ingolstadt, 30-Minuten-Takt Augsburg – Aichach, 15-Minuten-Takt Augsburg – Friedberg. Noch nie gab es auf der Paartalbahn so viele Züge wie im Jubiläumsjahr. Noch nie fuhren so viele Reisende wie heute.

Zug der Paartalbahn im Bahnhof Schrobenhausen der frühen 1980er Jahre (Foto: Bickel)

Das sah schon einmal ganz anders aus. Nur noch ältere Schrobenhauener erinnern sich daran, dass die einstige Deutsche Bundesbahn die Paartalbahn schon einmal stilllegen wollte. Fast 50 Jahre ist es her, dass sich dunkle Wolken über der Strecke zusammenballten. Bundesbahn-Vorstand und Verkehrspolitik hatten 1976 das Konzept eines „betriebswirtschaftlich optimalen Netzes“ ausgeheckt, und diesem sollten auch die Personenzüge auf der Paartalbahn zum Opfer fallen. Der Güterverkehr, der damals noch als wirtschaftlich galt, sollte dagegen bleiben.

In Schrobenhausen brach ein Sturm der Empörung los: Kommunale Gremien, politische Parteien, Vertreter von Industrie und Handel, Gewerkschaften und viele Bürger, die ihren Namen auf Unterschriftslisten zum Erhalt der Bahn setzten, meldeten massiven Protest an. Ganz besonders deutlich wurde Landrat Walter Asam (1926-2002): „Der Bundesbahn fällt jeden Tag eine andere Dummheit ein!“ echauffierte sich der langjährige Landkreis-Chef im Januar 1979 in öffentlicher Sitzung. Alfons Thoma (1917-2011), Präsident der Bundesbahndirektion München, war sehr beleidigt. Worauf denn diese „dem Unternehmen Bundesbahn abträgliche Äußerung“ zurückzuführen sei, wollte der oberste bayerische Eisenbahner wissen. Landrat Asam dachte gar nicht daran einzuknicken. „Leider muß ich im Hinblick auf meine Enttäuschung über die Pläne der Deutschen Bundesbahn (Streckenstillegung) auch heute noch zu der von mir geäußerten Bemekung stehen“, schrieb der Landrat zurück nach München. Überdies werde sein Standpunkt von „allen Kommunalpolitikern“ mitgetragen.

Blättert man heute in alten Ausgaben der Schrobenhausener Zeitung, so erzählen allein schon die Titel der mehr als 60 Berichte und Kommentare, die zwischen 1976 und 1979 zum Thema Einstellung des Reisezugverkehrs auf der Paartalbahn erschienen, eine beredte Geschichte zwischen Hoffen und Bangen, Protest und Resignation. Eine kleine Auswahl:

  • „Über 1000 Pendler melden Protest an“
  • „Wir fahren mit der Bahn und wollen mit der Bahn fahren“
  • „Pläne der Bundesbahn gefährden die Entwicklung Schrobenhausens“
  • „Gegen die Pläne der Bundesbahn wurde viel Dampf abgelassen“
  • „JU und Landjugend wenden sich gegen die Reisezugerverlagerung“
  • „Busse können den Bahnverkehr niemals ersetzen“
  • „Industrie und Handelskammer für den Personenzugverkehr“.

Nach drei Jahren, im Herbst 1979 war die Schlacht gewonnen. Eine ganze Reihe anderer Bahnstrecken in Bayern verloren den Personenverkehr uns sind heute zur Gänze stillgelegt. Die Personenzüge auf der Paartabahn blieben erhalten. Doch der Hader mit der Bahn begann aber bald auf’s Neue: Immer mehr Stationen wurden geschlossen, so etwa Hörzhausen, Edelshausen und Niederarnbach. Diese „Salami-Taktik“ fand am 2. Juni 1985 ihren Höhepunkt mit der völligen Einstellung des Zugverkehrs am Samstag und der Reduzierung auf zwei Abendzüge an Sonn- und Feiertagen. Ersatzbusse waren mangels Nachfrage rasch verschwunden. Die große Wende kam dann genau nach langen elf Jahren am 2. Juni 1996. Im neu geschaffenen Bayern-Takt fuhren die Züge nun werktags erstmals im Stunden- und am Wochenende im Zweistunden-Takt. Von da an ging’s bergauf mit der Paartalbahn.




Dr. Schmid: Rede zur Paartalbahn 1863


Ergänzend zum Beitrag „Stadtpfarrer Dr. Anton Schmid und die Paartalbahn“ finden Sie hier ein Transkript der vollständigen Rede, die der Schrobenhausener Geistliche und Landtagsabgeordnete am 21. September 1863 vor der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags gehalten hat. Zu einem, weil die Frakturschrift, in welcher der Stenographische Bericht über die Sitzung gedruckt wurde, manchem heutigen Leser Mühe bereitet. Zum anderen, weil es sich hier um eine der ganz wenigen Reden handelt, die jemals im Bayerischen Landtag über Schrobenhausener Belange zu hören waren. (Benno Bickel)


Meine Herren! Ich habe mir die Freiheit genommen, eine Modifikation zu der Linie München – Ingolstadt diesem hohen Hause zu unterbreiten, dahin gehend, es möchte diese Linie statt nach Pfaffenhofen über Schrobenhausen direkt nach Ingolstadt geführt werden. Ich weiß wohl, daß ich hierbei mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen habe, weil man annehmen könnte, als ob es sich hier nur um Lokalinteressen handle, allein ich schicke voraus, daß ich nicht aus Berücksichtigung rein lokaler, sondern allgemeiner Interessen spreche.

Aus dem Protokoll der Landtags-Sitzung vom 21. September 1863: Stadtpfarrer Dr. Anton Schmid plädiert für eine Bahnstrecke München – Schrobenhausen – Ingolstadt (Sammlung Bickel)

Erlauben Sie mir, daß ich zu dieser Modifikation ganz in Kürze die Gründe angebe. Durch diese Modifikation wird allerdings das Prinzip der direkten Linien etwas geändert, allein auch ich halte dafür, daß ein starres Festhalten an diesem Prinzip den Interessen mehrerer Provinzen unseres Vaterlandes nicht förderlich sei. Sie alle stimmen darüber ein, daß die Eisenbahnen Brod geben. Die Eisenbahnen wecken das gewerbliche und industrielle Leben. Wenn ein Gewerbetreibender an einer Eisenbahn zu wohnen das Glück hat, so kauft er leichter ein, er kauft schneller, er kauft billiger, und einer, der entfernt von der Eisenbahn wohnt, kann mit einem solchen Glücklichen in keiner Weise mehr konkurrieren; daher glaube ich, daß, nachdem die großen Städte bereits mit Eisenbahnen versehen sind, man auch auf Provinzialstädte und auf kleinere Orte, soweit dieß möglich ist, Rücksicht nehmen soll, und ich stimme dem II. Ausschusse vollkommen bei, wenn er sagt, daß in der Erweiterung unseres Eisenbahnnetzes der Segen und das Gedeihen unseres Vaterlandes liege.

Nach dieser Seite hin glaube ich also, muß es unsere Aufgabe seyn, im Interesse der Gewerbetreibenden das Eisenbahnnetz immer weiter auszudehnen.

Auf den sogenannten internationalen Verkehr lege ich, da ich kein Handelspolitiker bin, auch so lange kein besonderes Gewicht, als man mir nicht das Gegenteil beweist.

Aus den Referate des zweiten Ausschusses geht eben hervor, daß unser einheimischer Verkehr 75 Proz. beträgt, der ganze Verkehr mit dem Auslande vielleicht auf 25 Proz. sich beläuft, so wie, daß auch die Mehreinnahmen der Eisenbahnen von dem einheimischen, von dem inneren Verkehre herrühren. Das können wir alle weitläufig lesen in dem sehr schönen und ausführlichen Referat über die Einnahmen der Staatseisenbahnen des verehrten Abgeordneten Feustl. Endlich bin ich noch gegen das starre Festhalten an diesem Prinzip aus dem Grunde, weil ich glaube, daß, wenn man es z. B. bei der Donauthalbahn anwenden würde, mehrere Städte, wie z. B. Regensburg wenigstens um viele Stunden links oder wenn rechts gebaut würde, rechts liegen blieben, und jene Städte würden gewiß benachtheiligt werden, wenn sie in Folge des starren Festhaltens an diesem Prinzip von dem Eisenbahnverkehr ausgeschlossen würden.

Meine Herren, wenn Sie nun von diesem Prinzip irgendwie abweichen, so glaube ich, dürfen Sie auch auf der Route von München nach Ingolstadt abweichen in der Richtung über Schrobenhausen.

Ich habe dafür vorzüglich 2 Gründe. Ich halte es nemlich doch für notwendig, daß die Bahn von Augsburg nach Regensburg gebaut werde; wenn nun diese gebaut wird, so ist die Strecke von Schrobenhausen nach Ingolstadt, – das macht allenfalls 8 Stunden*) aus, bereits gebaut.

Dem Staate sind dadurch nach den genauesten Berechnungen 2,080,000 fl. erspart in Bezug auf das Bauen, und die Betriebskosten würden in aller Zukunft auf eine Strecke von 8 Stunden um die nämliche Strecke gemindert. Endlich würde uns diese Route noch das Donaumoos erschließen, jenes Donaumoos, für welches die Staatsregierung wenigstens in früherer Zeit so viele Millionen geopfert hat, und das auf weithin schätzbares Brennmaterial zu liefern im Stande ist. Ich will nicht davon sprechen, meine Herren, daß Schrobenhausen selbst ein sehr betriebsames, gewerbsames Städtchen ist, und daß, wenn es ganz und gar aus dem Eisenbahnverkehre ausgeschlossen wird, dasselbe ganz und gar seinem Ruine entgegengeht, denn Schrobenhausen lebt nur von Industrie, besitzt mehrere Fabriken, und hat seine Industrie, Gott sei Dank, so weit getrieben, daß man in mancher Provinzialstadt diese Höhe nicht findet.

Dieß sind einfach meine Gründe, warum ich glaube, wir sollen nach der Linie Schrobenhausen abweichen. Ich will aber dabei dem gewerbesamen Städtchen Pfaffenhofen durchaus nicht zu nahe treten, aber es steht an jener Grenze, von wo selbst wieder viele Eingaben da sind, daß auch wieder eine Eisenbahn gebaut werden soll hinüber in die gesegneten Fluren der Holledau; Pfaffenhofen wird früher oder später jedenfalls von Indersdorf oder Jetzendorf aus eine Zweigbahn erhalten hinein in die Holledau, die ihren Anschluß findet in der Linie von Ingolstadt nach Regensburg.
Ich glaube, meine Herren, daß wenn wir auf der einen Seite für den Staat einige Millionen ersparen, auf der anderen Seite einem Städtchen aufhelfen, und einem anderen nicht zu nahe treten, dieses hinreichende Gründe für uns seyn dürften, diese Abweichung der direkten Linie wenigstens in Betracht zu ziehen, und deswegen habe ich mir die Freiheit genommen, sie Ihnen zu empfehlen.

*) Gemeint ist „Stunde“ als Längenmaß. Eine bayerische Stunde beträgt 3 km 707 1/2 m.


Quelle: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages im Jahre 1863. Stenographische Berichte Nr. 1-25. Von der I. Sitzung am 25. Juni 1863 bis zur XXV. Sitzung am 30. September 1863. I. Band, S. 402-403




Dr. Anton Schmid – vergessener Stadtpfarrer in Schrobenhausen

Stadtpfarrer Dr. Anton Schmid Schrobenhausen

Im Gegensatz zu Geistlichen wie Prälat Albert Alberstötter oder Benefiziat Michael Thalhofer ist Stadtpfarrer Anton Schmid im historischen Gedächtnis Schrobenhausens kaum präsent. Anton Schmid, geboren 1827 im mittelfränkischen Heideck, wuchs in den bescheidenen Verhältnissen einer Schusterfamilie auf. 1851 zum Priester geweiht, wurde der promovierte Theologe 1858 Stadtpfarrer in Schrobenhausen, ehe er 1867 Domherr in Bamberg und 1868 Professor der Dogmatik wurde. Von 1863 bis zum seinem Tod 1881 gehörte er als Mitglied des Zentrums dem Bayerischen Landtag an. Abgesehen von seinem Ausflug in den „Schrobenhausener Eisenbahnbau“ widmete er sich als Abgeordneter vor allem der Schulpolitik.

Zum Weiterlesen:

https://homepages.uni-regensburg.de/~kog02554/Lehre/Politiker/Schmid.pdf

https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Anton_Schmid

 




Stadtpfarrer Dr. Anton Schmid und die Paartalbahn

Die Paartalbahn Augsburg – Friedberg – Aichach – Schrobenhausen – Ingolstadt ist 150 Jahre alt geworden. Doch bevor am 15. Mai 1875 der erste Zug fuhr, musste die Strecke gebaut werden. Das dauerte von 1872 bis 1875. Bevor die Strecke gebaut werden konnte, brauchte es Planung – technisch, wirtschaftlich, organisatorisch und zunächst vor allem politisch. Der politische Prozess dauerte von 1860 bis 1871 und somit dreimal länger als die Bauzeit. Der Schrobenhausener Stadtpfarrer und Landtagsabgeordnete Dr. Anton Schmid spielte dabei in einer bemerkenswerten Episode die Hauptrolle: Er plädierte in der Kammer der Abgeordneten nicht nur für eine Paartalbahn, sondern für die Streckenführung der Bahnverbindung München – Ingolstadt über Schrobenhausen statt über Pfaffenhofen. Die Münchner Strecke über Dachau, Indersdorf und Jetzendorf und die von Augsburg kommende Strecke sollten sich in Schrobenhausen vereinigen und weiter nach Ingolstadt und schließlich Regensburg führen.

Wir schreiben das Jahr 1863. In Nordamerika tobt der Sezessionskrieg, ein patriotischer Aufstand in Polen wird von Russland und Preußen mit aller Macht unterdrückt. In Bayern herrscht gottlob Frieden. Das kleine Landstädtchen Schrobenhausen zählt gut 2100 Einwohner. Einige von ihnen treibt etwas um, das man heute als “Innovation” bezeichnen würde: Ein Anschluss an das im Entstehen begriffene Eisenbahnnetz.

Schrobenhausen und die „Eisenbahnwüste“ in der Mitte Bayerns. Ausschnitt aus: „Neueste Eisenbahn-Reisekarte durch das Königreich Bayern“, Augsburg ca. 1863. (Bayerische Staatsbibliothek, Mapp. XI,86)

Mag es auch schon frühere Überlegungen gegeben haben, seriös nachweisen lassen sich Bestrebungen zum Bau einer Paartalbahn erst im Jahr 1860. Die Initiative dazu geht von der Stadt Augsburg aus. Dort treffen sich am 28. August im kleinen Rathausaal Vertreter der Städte Friedberg, Aichach, Schrobenhausen und der Gemeinde Reichertshofen und kommen überein, sich gemeinsam für den Bahnbau zu engagieren.

Im Jahr darauf wird eine Denkschrift an König Maximilian II (reg. 1848 bis 1864) auf den Weg gebracht, die vom Februar 1861 datiert:

Paatalbahn Denkschrift 1861
Paatalbahn Denkschrift 1861

Die Bemühungen zeitigen bald Früchte. Im Mai 1861 legt der Königliche Betriebsingenieur Alois von Röckl (1822-1885) einen ersten Entwurf für eine Strecke vor, die vom Gut Stierhof bei Augsburg über Friedberg, Aichach, Schrobenhausen, Hohenwart, Freinhausen und Reichertshofen nach Ingolstadt führen soll. Im April 1863 legt Röckl einen Plan mit deutlich geänderter Linienführung vor: Nun nicht mehr über Hohenwart, sondern über Arnbach (dem heutigen Niederarnbach) nach Ingolstadt, also so, wie schließlich auch gebaut wurde. Es folgen weitere Denk- und Bittschriften der interessierten Städte und Gemeinden, die sich an den Landtag, an Ministerien und die Kgl. Regierung von Oberbayern wenden. Auch der Magistrat der Stadt Schrobenhausen wird am 27. August 1863 nochmals vorstellig.

Im Herbst des gleichen Jahres befasst sich die Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landestages mit einem Gesetzentwurf der Königlichen Regierung, die Vervollständigung und weitere Ausdehnung der bayerischen Eisenbahnen betreffend – wie es in schönstem Amtsdeutsch heißt. Eine Bahnstrecke Augsburg – Schrobenhausen – Ingolstadt beinhaltet diese Vorlage noch nicht. Im Mittelpunkt der Beratungen steht der Bau der Bahnstrecke München – Ingolstadt und ihre Weiterführung nach Nürnberg.

Nach dem Antrag von Pfarrer Dr. Anton Schmid sollte die Strecke München – Ingolstadt nicht über Pfaffenhofen führen, sondern von Dachau nach Schrobenhausen und weiter nach Ingolstadt.

Trotzdem sollte in der Sitzung, die am 21. September 1863 ab 16 Uhr im Landtagsgebäude in der Münchner Prannenstraße 20 stattfindet – das Maximilianeum gab es noch nicht, – das Projekt Paartalbahn eine Rolle spielen. Denn an der Zusammenkunft nimmt auch der Schrobenhausener Stadtpfarrer Anton Schmid teil, der als frisch gewählter Landtagsabgeordneter den Wahlbezirk Schrobenhausen vertritt. Im Mittelpunkt der teils hitzigen Debatten steht der Bau der Bahnstrecke München – Ingolstadt und vor allem die Frage, wie diese über die Fränkische Alb nach Nürnberg weiterzuführen sei. Ob nun über Eichstätt, wie damals beschlossen, oder auf direkten Weg, wie die heutige Hochgeschwindigkeitsstrecke Ingolstadt – Nürnberg, deren Trassenführung eine ganze Reihe von Abgeordneten schon damals bevorzugt hätte, ist nicht Gegenstand von Schmids Überlegungen. Vielmehr geht es ihm in seinem Modifikationsantrag” um etwas ganz anderes. Doch lassen wir ihn selbst sprechen. Laut dem stenographischen Landtagsprotokoll eröffnet Stadtpfarrer Schmid seine Rede:

Die folgende Argumentation ist nicht völlig ohne Widerspruch. Eingangs betont Stadtpfarrer Schmid, es gehe ihm keineswegs um rein lokale Interessen, denn durch eine gemeinsame Führung der Strecken von München und Augsburg ab Schrobenhausen bis Ingolstadt ließen sich über zwei Millionen Gulden sparen. Doch wenige Sätze legt er sich so richtig ins Zeug für Schrobenhausen:

 Und ein weiteres Argument bringt der Redner vor:

Dem gleichfalls „gewerbesamen Städtchen Pfaffenhofen“ wollte der Geistliche „durchaus nicht zu nahe treten“ und stellte „ihm früher oder später jedenfalls von Indersdorf oder Jetzendorf aus eine Zweigbahn“ in Aussicht.

War Schmids Vorschlag nun ein kurioser Einfall aus der Provinz, über den die Mitglieder des Hohen Hauses spöttisch lächelnd hinwegsahen? Keineswegs, denn als Joseph Pözl (1814-1881), der zweite Präsident der Kammer, die Frage stellt, ob der Antrag aus Schrobenhausen unterstützt werden solle, erhebt sich eine genügende Anzahl von Abgeordneten zustimmend von ihren Plätzen. Womit Schmids „Modifikation“ zwar nicht angenommen ist, aber es darf darüber diskutiert werden. Diese Diskussion leuchtet in der viele Stunden langen Debatte, die sich bis zum 24. September hinzieht immer wieder mal auf, ohne für den Gesamtverlauf besonders bedeutungsvoll zu sein. So kann etwa der Augsburger Abgeordnete Dr. Marquard Barth (1809-1885) der Idee von Pfarrer Schmid durchaus etwas abgewinnen.

Schließlich kommt es zur Abstimmung über verschiedene Varianten, aus der die direkte Linienführung München – Pfaffenhofen – Ingolstadt als Sieger hervorgeht. Anton Schmids Vorstoß hat sich erledigt.

Ob es dem Stadtpfarrer ein “Herzensanliegen“ war, ob er sich als örtlicher Landtagsabgeordneter dazu verpflichtet fühlte, ob er von Schrobenhausener Honoratioren dazu gedrängt wurde, diese Frage ruht im Dunkel der Vergangenheit. Sein Engagement war jedenfalls nicht ungewöhnlich: Geistliche, die sich für den Bahnbau einsetzen, dem örtlichen Eisenbahn-Committe” angehörten oder ihm vorstanden, finden sich in der Eisenbahngeschichte Bayerns im 19. Jahrhundert häufig. Sie zählten zur lokalen Elite.


Quellen und Literatur:

  • Löwenstein, Theodor: Die bayerische Eisenbahnbaupolitik bis zum Eintritt Deutschlands in die Weltwirtschaft. 1825 bis 1890. In: Archiv für Eisenbahnwesen 1927, S. 881-925, 1285-1312, 1587-1639
  • Mages, Emma: Eisenbahnbau, Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft in der südlichen Oberpfalz 1850 – 1920 (Regensburger historische Forschungen; Band Bd. 10), Kallmünz/Opf: Lassleben . 1984 – XLIV, 390 S. : Ill., graph. Darst., Kt., ISBN 978-3-7847-4010-2.
  • Marggraff, Hugo: Die Kgl. Bayerischen Staatseisenbahnen in geschichtlicher und statistischer Beziehung. Gedenkschrift zum 50. Jahrestag der Inbetriebsetzung der ersten Staatsbahnstrecke Nürnberg-Bamberg am 1. Oktober 1844 (Kohlhammer Edition Eisenbahn), Stuttgart: Kohlhammer 1982 – 286 Seiten : Illustrationen, Karten , ISBN 978-3-17-007685-3 – Erw. Nachdr. d. Ausg. München 1894.
  • Pittius, Hans-Joachim / Schuster, Anton: Die Paartalbahn. Seit 1875 mit dem Zug von Augsburg nach Ingolstadt, Schrobenhausen: Verlag Benedikt Bickel 2000 – 156 Seiten, 220 Abbildungen, ISBN 978-3-922803-52-2 .
  • Sauer, Andreas: „… daß bei Erbauung einer Eisenbahn die Stadt Pfaffenhofen in das Eisenbahnnetz aufzunehmen sei“. Der Eisenbahnbau und seine Auswirkungen auf die Stadtentwicklung (Pfaffenhofener Stadtgeschichte(n); Band 19), Pfaffenhofen a.d. Ilm: Stadt Pfaffenhofen a.d. Ilm . 2017 : 93 S.-zahlr. Ill. u. Kart. .
  • Stark, Hans: Die 100jährige Geschichte der unteren Donautalbahn. Dampf, Öl, ein Schienenstrang, Abensberg: [Selbstverl. ?] . 1974 – 58 S. m. Abb. u. Taf.
  • Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages im Jahre 1863. Stenographische Berichte Nr. 1-25. Von der I. Sitzung am 25. Juni 1863 bis zur XXV. Sitzung am 30. September 1863. I. Band, S. 402-403



Schrobenhausen einst: Die „Saubrücke“

Schrobenhausen: Obere Stadt von der "Saubrücke" aus

Die Saubrücke: Warum sie im Volksmund diesen heute weitgehend vergessenen Namen trägt, darüber gibt es zwei Versionen. Entweder, weil der Schweinehirte der Stadt das Borstenvieh aus den Bauernhöfen innerhalb des Walles täglich über sie hinweg auf die Weide trieb oder weil 1782 vor dem Oberen Tor ein Schlachthaus eröffnet wurde. Auf unserer Ansichtskarte aus dem Jahre 1899 überspannte die hölzerne »Saubruck« noch das munter plätschernde Stadtbächlein; später wurde sie durch eine Betonbrücke ersetzt und heute befindet sich hier der »Thiers-Kreisel«. Links am Eingang zur Stadt ist das »Engelhard-Haus« (Lenbachstraße 68), nach einem dort arbeitenden Glasermeister so benannt, zu erkennen, in dem der Graphiker und Illustrator Joseph Sattler (1867-1931) geboren wurde. Sein Vater, ebenfalls ein Joseph, kam 1864 nach Schrobenhausen und machte rasch kommunalpolitische Karriere: Von 1870 bis 1875, ehe die Familie dann nach Landshut zog, war er Bürgermeister der Stadt. Der Sattler-Vater, Glas- und Dekorationsmaler, richtete in Schrobenhausen übrigens auch das erste Photographen-Atelier ein.

(Aktualisierter Text aus: Benno Bickel und  Thekla Maria Pollinger: Schrobenhausener Ansichten. Eine Stadt in alten Postkarten, Schrobenhausen 1980)



Klebend die Welt erkunden – Karl Stögers Collagen

Neue Schrobenhausen-Collagen von Karl Stöger

 

Bei diesem Text handelt es sich um eine Vernissagen-Rede, gehalten am 30. September 2023, anlässlich der Einzelaustellung von Karl Stöger im Schrobenhausener Pflegschloss-Museum.

 

Es geht los

Ich heiße Sie herzlich willkommen, freue mich namens des Ausstellers über Ihren Besuch und möchte Sie gleich beruhigen: Meine Rede wird kurz sein. Oft und lange genug habe ich mir bei Vernissagen die Beine in den Bauch gestanden, um zu wissen, was Besucher sich wünschen. Kürze!

Eines will ich schon gar nicht, die wunderschönen und wundersamen Bilderlebnisse, die auf Sie warten, wortreich zu zerreden. Deshalb nur fünf Anmerkungen, wobei ich gar nicht verhehlen will, dass meine Worte subjektiv sind. Über einen, mit dem man seit recht genau 40 Jahren befreundet ist, „objektiv“ zu sprechen, ist natürlich völlig unmöglich. – So, das war die erste Anmerkung.

 

 

Biografie

Karl Stöger ist einer, den es nach Schrobenhausen verschlagen hat. Zumindest für fast 25 Jahre. Als „Eingeborener“ war ich immer schon neugierig, welches Geschick – Beruf, Liebe, Zufall – Menschen nach Schrobenhausen schickt. Was Schrobenhausen mit ihnen macht und umgekehrt.

Um es kurz zu machen: Karl Stöger zählt für mich zu der eher seltenen Neubürger-Kategorie, die Schrobenhausen unaufdringlich und ohne dezidiertes Sendungsbewusstsein bereichert und beschenkt haben. Auf vielerlei Gebieten, aber vor allem künstlerisch und kulturell. Karl Stöger macht Bücher, Musik, Filme und – natürlich Collagen.

Geboren wurde Karl Stöger am 1. Dezember 1946 in München und durfte im damals ruhigen, noch nicht recht urbanen Stadtteil Allach zusammen mit mehreren Geschwistern in einer ausgesprochen kunstsinnigen Familie aufzuwachsen. Der Vater, von Beruf Architekt, war ein ebenso passionierter Zeichner wie Musiker in einem Streichquartett.

Karl Stöger machte zunächst eine Ausbildung als Schriftsetzer, die man seinen in Schrift und Gestaltung klassisch schönen Büchern in Typographie und Layout bis heute ansieht. Dann beschritt er den zweiten Bildungsweg, studierte Pädagogik, trat seine erste Stelle als Lehrer an, und 1983 – vor 40 Jahren, durfte sich Schrobenhausen darüber freuen, dass er an die Hauptschule versetzt wurde.

Sieben Jahren an der Hauptschule folgten 14 Jahren an der Grundschule. So hat fast eine Generation Schrobenhausener Schülerinnen und Schüler Stögersche Kreativität und Lebenssicht mit auf den Weg bekommen. Denn er war ein ungewöhnlicher Lehrer, wie Eltern und ehemalige Schüler bis heute betonen. Daneben engagierte sich Karl Stöger unter anderem im damals noch jungen „Eine-Welt-Laden“, spielte Bass im Günther-Schilling-Trio und eroberte sich seine neue Heimat Schrobenhausen mit – ja womit? – natürlich mit seinen Collagen.

2006 kehrte Karl Stöger in seine Heimatstadt München zurück und zog das große Los. Er bekam eine der begehrten Wohnungen in der berühmten denkmalgeschützten Wohnsiedlung Borstei an der Dachauer Straße im Stadtteil Moosach. Und da er kein Nehmender, sondern ein Gebender ist, veröffentlichte er seither mehrere Publikationen über die Borstei. Zudem betreut er das Borstei-Museum.

 

Collage – was ist das eigentlich?

Im Kunstbetrieb, den Geld und nicht Kreativität regiert, sind Collagen ein wenig randständig. Liegt es am Fehlen teurer Farben und goldener Rahmen, wie mal ein Kunsthistoriker gemeint hat? Im Zeitalter von Installation und Performance wohl kaum. Wie auch immer. Die Geschichte der Collage, wie sie in der Kunstgeschichte kanonisiert ist, geht auf das frühe 20. Jahrhundert zurück und beginnt gleich mit zwei großen Namen: Georges Braque und Pablo Picasso, die um 1910 begannen, auf gemalte Bilder Zeitungausschnitte oder auch Tapetenstücke aufzukleben und das Ergebnis „papier collé“ und schließlich schlicht „Collage“ zu nennen. „Collé“ und „Collage“ sind Ableitungen des französischen Verbs „coller“, das „leimen“ oder auch „kleben“ bedeutet. Im Deutschland machte sich der Maler und Dichter Curt Schwitters mit Collagen einen Namen, zeitbedingt dann einen so „schlechten“, dass er als „entarteter Künstler“ 1937 vor den Nationalsozialisten nach Norwegen emigrieren musste. Seine 1919 entstandene Collage „Das Undbild“ hängt heute in Paris im Centre Pompidou. Es gäbe noch eine ganze Reihe weiterer Namen zu nennen, aber wir sind ja hier nicht in der Volkshochschule.

Wie sich die Stadt verändert – wow! (Aha! Die Landesgartenschau!)

Es gibt Collagen, bei denen man den Eindruck gewinnt, der Künstler habe das halbe Sortiment eines durchschnittlichen Baumarkts verarbeitet. Karl Stöger hingegen ist ein Purist, ja ein Minimalist: Seine Collagen, also seine „Klebebilder“ zeichnen sich durch das „Stögersche Reinheitsgebot“ aus: Sie bestehen aus nur zwei Elementen, die noch dazu aus dem gleichen Stoff sind, nämlich bedrucktem Papier. Das gilt für alle, nahezu alle seiner Arbeiten. Wie Sie selber sehen werden.

Ich mache jetzt auch eine Collage, nämlich eine Rede-Collage. Und zitiere, wie Karl Stöger seine Arbeit im Mai 2001 anlässlich einer Einzelausstellung in Schrobenhausens Partnerstadt Bridgnorth beschrieben hat:

„Ich habe mir zur Auflage gemacht, hauptsächlich Bilder zu verwenden, die mir der Alltag auf den Schreibtisch spült: Postkarten, Prospekte, Zeitschriften, Kalender und sogar Hochglanzbildbände, die niemand mit einer Schere anzugreifen wagen würde, sind die Fundgruben für meine Collagen. Je größer das Chaos auf meinem Schreibtisch, umso besser. Bilder sind wie Leute: Es kommt darauf an, wen man trifft und mit wem man dann zusammen(k)lebt.“

Mehr als „Schere, Klebstoff und ein paar Bilder“ brauche es dazu nicht. Und wenn all das den Schreibtisch bevölkere, ist nach Karl Stögers Erfahrung das eigentlich schwierige, keine Collage zu machen. Denn die Bilder auf dem Schreibtisch würden sich wie von selbst zu „Kindern des Zufalls“ zusammenfinden. Eine Replik dieses magischen Schreibtischs finden Sie in dieser Ausstellung.

Das magische Moment will ich ja nicht völlig in Abrede stellen. Doch dass Perspektiven, Proportionen und Farbklänge harmonieren, ist schon dem Auge des Meisters geschuldet. Daneben braucht es noch die schöpferische Seele, um formal Verbundenes zu einem Inhalt, zu einer Botschaft zu verknüpfen, die gern auch sibyllinisch sein darf, einen großen Interpretationsraum öffnet und Spannung erzeugt.

 

SOB-Collagen

Alltag macht blind oder zumindest unaufmerksam. Wir gehen am Rathaus vorbei, aber sehen wir es? Wir hasten geschäftig über den Stadtwall, aber nehmen wir ihn wahr?

Karl Stögers Collagen können Schrobenhausenerinnen und Schrobenhausenern Schrobenhausen wieder näherbringen. Mal sind es die starken Kontraste der Collagen, mal die kleinen Nuancierungen, subtile Verfremdungen, die den Betrachtenden vermeintlich Wohlbekanntes mit neuen Augen sehen lassen und neue Erkenntnismöglichkeiten eröffnen. Und oft geht dieses Erkennen mit einem Schmunzeln einher. Drei Hauptmotive sind immer wieder präsent:

  • Das Rathaus und der Lenbachplatz
  • Der Stadtwall
  • Lenbachs Hirtenknabe

Das Schrobenhausener Rathaus vor wechselnden Hintergründen, mal exotisch, mal anheimelnd, mal dystopisch, zeigt uns, wo wir sein könnten, wo wir wirklich sind. Karl Stöger bietet auch architektonische Varianten des Rathauses. Mancher wird aufatmen: „Es hätte noch schlimmer kommen können!“

Was wäre Schrobenhausen ohne Stadtwall? Oder, fast noch spannender: Was wäre der Stadtwall ohne Schrobenhausen? Schauen Sie genau hin!

Der knapp 200 Jahre alte Hirtenknabe ist längst aus der Zeit gefallen und drängelt sich trotzdem immer wieder in das Schrobenhausen der Gegenwart. Will er was von uns? Oder wir von ihm?

Sogar Tagesgeschehen eignet sich dazu, auf einer Stöger-Collage interpretiert und manchmal auch glossiert zu werden. Sei es 1986 die Lenbach-Jubiläumsausstellung im Rathaus oder aktuell die Landesgartenschau.

Die Ausstellungsstücke, die Sie heute sehen, sind fast alle – bis auf ein Original hinter Glas – hochwertige Drucke. Denn die Schnittkanten und Kleberänder sind fragil, verführen dazu, die perfekten Übergänge mit dem Finger nachfahren, und schon ist es passiert …

Die Originale der insgesamt gut 200 Schrobenhausen-Collagen hat Karl Stöger dem Stadtarchiv vermacht. Hoffentlich wird dieses Schatzkästlein bewahrt, solange es sie noch gibt, diese unsere Welt.

 

 

Non-SOB-Collagen

Dass in einer Schrobenhausener Ausstellung Schrobenhausen-Collagen im Mittelpunkt stehen, ist nachvollziehbar. Doch umfasst diese Werkschau neben 57 Prozent Schrobenhausen auch 42 Prozent „Rest-der-Welt-Collagen“, wie Karl Stöger genau ausgerechnet hat. Diese 42 Prozent repräsentieren mehr als 2000 Collagen, die das Hauptwerk des Künstlers darstellen. Es gibt kein Thema zwischen Himmel und Erde, das vor seiner Schere sicher wäre. Glanz und Elend der Welt, des menschlichen Tuns und Erleidens, Witziges und Abgründiges, Botschaften und Rätsel vereinigen sich zu einem Collagen-Atlas der Erde.
Besonders ziehen Karl Stöger Gegensätze an.

  • Hart und weich
  • Gestern und heute
  • Sanft und grob
  • Natur und Maschinenwelt
  • Abstraktes und Gegenständliches
  • Teile und das Ganze

Oft dienen ihm berühmte Werke der Weltkunst als Grundlage von Umdeutungen und Adaptierungen. So zum Beispiel Marienbilder.

In einem kleinen, aber feinen Büchlein hat er sich jüngst mit der Evolution beschäftigt. Wie herrlich weit haben wir es doch gebracht!

Auch wenn bei uns Schrobenhausenern Schrobenhausen einen etwas größeren Platz auf dem Globus einnimmt als anderswo: Betrachten Sie sich diese Stögerschen Welt-Collagen bitte mindestens so intensiv wie seine „SOBiana“! Sie werden es nicht bereuen.

Klebend die Welt zu verändern zu wollen, ist heute en vogue. Klebend die Welt erkunden, ist Karl Stögers Weg.

  • Lassen Sie sich von Karl Stöger eine kleben!
  • Gehen Sie ihm vielleicht auch mal auf den Leim!
  • Genießen Sie diese Ausstellung!

Anmerkung: Bereits 1988 veröffentlichte Karl Stöger ein Collagen-Buch mit dem Titel Schrobenhausen in anderen Ansichten, das wir anlässlich der Ausstellung als Digitalisat präsentieren.


 




Als das Internet nach Schrobenhausen kam

Ein wenig Vorgeschichte

Kein World Wide Web, keine E-Mail und kein Smartphone? Wer heute 25 Jahre alt ist, kann sich eine Welt ohne Internet wohl nur schwer vorstellen. Doch ist es erst gut 25 Jahre her, als Schrobenhausen seinen ersten bezahlbaren Internet-Zugang erhielt. Und das dank einer zivilgesellschaftlichen Initiative namens „Bürgernetz Neuburg-Schrobenhausen e. V.“ Denn die großen, marktbeherrschenden Provider gab es damals noch gar nicht.

Wer 1995 ins Internet wollte, mußte sich auf ein technisches Abenteuer und ein kostspieliges Vergnügen einlassen. Zugänge gab es zwar bereits einige, aber nicht in Schrobenhausen. Eine Einwahlmöglichkeit gab es zum Beispiel in München – das kostete allein an Telefongebühren pro Stunde 19,60 DM. Hinzu kamen Kosten für den Anbieter und für die Anschaffung eines Modems. Zwei, denen das alles nicht gefiel, trafen sich im Dezember 1995 zufällig in einem Schrobenhausener Supermarkt am Regal mit dem Computer-Zeitschriften und hatten die gleiche Idee: Es müßte doch möglich sein, meinten Informatik-Student Martin Fenn und vhs-Leiter Benno Bickel, in Schrobenhausen vor Ort einen Internet-Zugang  zu schaffen, bei dem nur die Gebühren des damaligen Ortstarifs der Telekom anfallen. Ein Aufruf im Frühjahrs-Programm der Volkshochschule Schrobenhausen, das kurz vor der Drucklegung stand, sollte Gleichgesinnte motivieren. Die Einladung, dieses recht anspruchsvolle Projekt anzugehen, fiel auf fruchtbaren Boden. Aus Neuburg meldete sich Franz-Josef Simon, damals Leiter der Landkreisbetriebe, der die gleichen Ambitionen hatte. Wenige Wochen später wurde Verein „Bürgernetz Neuburg-Schrobenhausen e. V.“ gegründet. Zehn Monate später – das mutet heute erstaunlich schnell an – ging der lokale Internet-Zugang in Betrieb, wobei politische und juristische Fragen oft mehr Zeit in Anspruch nahmen als die Technik, mit der immerhin Neuland betreten wurde.

Aufruf im Frühjahrs-Programm 1996 der Volkshochschule Schrobenhausen

Für  die technische Umsetzung sorgte in Schrobenhausen, das damals zu den Internet-Pionieren in Bayern zählte, der Verein „Schrobenhausen Online e. V.“ Die Server nebst dazugehörender Technik wie Modems, ISDN-Leitungen etc. standen im Keller der Franz-von-Lenbach-Realschule. So fand denn auch die offizielle Eröffnung des „Bürgernetzes Neuburg-Schrobenhausen“ am 28. November 1996 in der Aula dieser Schule statt. In unveränderten Wortlaut veröffentlichen wir hier als kleines Dokument aus den Kindertagen der „Digitalisierung“ eine Rede, die aus diesem Anlass gehalten wurde.

Rede zur Eröffnung des „Bürgernetzes Neuburg-Schrobenhausen“ am 28. November 1996

1838, drei Jahre nachdem die erste deutsche Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth dampfte, soll ein Medizinalgutachten erschienen sein, wonach bei Geschwindigkeiten über 40 km/h die Reisenden ganz unweigerlich einem jähen Tode ausgeliefert seien. Solches Tempo, hieß es, könne der menschliche Körper keinesfalls ertragen. Nun steht zwar heute nirgendwo zu lesen, daß der Datentransport mit mehr als zwei Megabit letal endet. Dennoch haben das frühe 19. und das späte 20. Jahrhundert vieles gemeinsam. Damals wie heute war die Menschheit mit einer Revolution der Kommunikation konfrontiert. War es damals der physische Transport von Menschen und Gütern, so ist es heute die Übermittlung von Information. Und damals wie heute wußten viele Menschen nicht so recht, was sie von all diesen nur schwer einschätzbaren Entwicklungen halten sollen.

"Homepage" des Bürgernetzes Schrobenhausen

Erster Internet-Auftritt: BürgernetzNeuburg-Schrobenhausen – Testbetrieb im Mai 1996 (Screenshot: Bürgernetz Neuburg-Schrobenhausen)

Die Eisenbahn bedeute das Ende aller Kriege, sagten Kulturoptimisten eine goldene Zukunft voraus. Und die Pessimisten sahen das Abendland mit Schnellzugtempo in den Abgrund des Maschinenzeitalters rasen. Haben wir Grund, darüber heute überheblich zu lächeln? Das Internet, prophezeien die einen, führe dank unbegrenzt verfügbarer Information zu selbstverantworteter Basisdemokratie und rationaler Entscheidungsfindung. Das Internet, prophezeien die anderen, führe unweigerlich zum gläsernen Menschen, zum totalen Überwachungsstaat, zur Mediokratie. Abstufungen zwischen diesen beiden Extremen, vermengt mit Mythen, Legenden und waghalsigen Prognosen, finden Sie in jeder Computer-Zeitschrift.

Wie auch immer. Das Internet ist da. Und es wird zunehmend unseren Alltag mitbestimmen. Ob wir das Internet wollen oder nicht, ist dabei völlig belanglos. Wir werden nicht gefragt. Wesentlich ist, was wir aus dem Internet machen. Entscheidend ist, ob wir uns passiv dareinfügen und nur konsumieren, oder ob wir unser „digitales Geschick“ selber in die Hand nehmen, mitbestimmen und mitgestalten.

Die bayerischen Bürgernetze sind ein hervorragendes Instrumentarium, um einen selbstbestimmten und verantwortungsvollen Umgang mit dem Medium Internet zu erlernen. Umso mehr freut es uns, daß der Landkreis Neuburg-Schrobenhausen zu den Pionieren zählt, zu den ersten Landkreisen, die in diesen Wochen und Monaten an’s Netz gehen. So haben wir allen Grund, heute ein wenig zu feiern. Und daß wir feiern können, das ist in erster Linie der Initiative und Aufgeschlossenheit von Landrat Dr. Richard Keßler zu danken. Ebenso danken wir dem Kreistag, der die nicht unerheblichen Mittel für die Anschaffung der Technik und die laufenden Betriebskosten bereitgestellt hat.

Das Bürgernetz Neuburg-Schrobenhausen bietet allen Bürgern einen Internet-Zugang ohne teure Gebühren. Es fallen lediglich die Telefonkosten zum Ortstarif an. Darüberhinaus will das Bürgernetz aber auch lokale Informationen aus dem Kreisgebiet, den beiden Städten und den Gemeinden bieten. Hier sind alle Bürger herzlich eingeladen und aufgerufen mitzumachen. Und je mehr sich beteiligen, desto lebendiger wird dieses lokale Informationssystem, das vom Behördenwegweiser über politische und Vereinsnachrichten bis zum Veranstaltungskalender, den Fußballergebnissen und der Theaterkritik vom Wochenende reichen kann. Anregungen dazu wollen die bereits bestehenden Informationsseiten der beiden Städte Neuburg und Schrobenhausen, der Gemeinden Aresing, Karlshuld und Brunnen geben. Und wir hoffen – mit dem heutigen Eröffnungstag stehen wir ja erst ganz am Anfang -, daß die noch bestehenden weißen Flecken auf der Landkreiskarte in den nächsten Monaten immer weniger werden.

Wenn Sie mitmachen wollen, so geben Ihnen das Bürgernetz und die beiden Betreibervereine „Neuburg Online“ und „Schrobenhausen Online“ jederzeit gerne Auskunft. Sicher werden sich einige von Ihnen fragen, warum man für ein Netz gleich drei Vereine braucht. Ist da vielleicht wieder einmal die in Strukturen selbstverliebte Vereinsmeierei zugange? Oder will gar jeder sein eigenes Süppchen kochen? Keineswegs! Die Erklärung ist ganz einfach. Die Welt der Kommunikation hat sich etwas rascher entwickelt als das Steuerrecht. Und so wurde es erforderlich, für den Betrieb der Einwählcomputer – der eine in Schrobenhausen wird heute eröffnet, der andere in Neuburg soll bald folgen – eigene Vereine ins Leben zu rufen. Aber seien Sie versichert: Wir machen und wollen alle dasselbe!

Sie werden sich vielleicht schon gewundert haben, wo bleibt die Computer-Fachsprache in dieser Rede? Wann geht’s endlich los mit dem abschreckend-geheimbündlerischen Kauderwelsch, im Vergleich zu dem uns Chinesisch vertraut erscheint wie ein bayrischer Dialekt? Ich muß Sie – hoffentlich angenehm – enttäuschen! Was Sie als Nutzer des Bürgernetzes wissen müssen, können Sie in ganz normalem Deutsch erfahren.

Wenn Sie Anfänger sind, meiden Sie am besten den Umgang mit selbsternannten Experten hinter deren fachsprachlichen Tiraden sich in der Regel bestenfalls ein Mangel an Kompetenz oder Charakter, manchmal auch an beidem, verbirgt. Wer seinen Videorecorder oder seine Programm-Waschmaschine beherrscht, kommt auch mit dem Internet zurecht.

Um Nutzer des Bürgernetzes zu werden, benötigen Sie einen Computer, eine Verbindung zwischen Computer und Telefon und einige Zugangsprogramme. Sie können dann eine Verbindung zwischen ihrem Computer und dem Einwählcomputer des Bürgernetzes herstellen, der hier im Keller der Franz-von-Lenbach-Schule untergebracht ist. Von diesem Einwählcomputer können Sie alle lokalen Informationen abrufen, die Sie interessieren. Sie können aber auch ins weltweite Internet gehen, indem Sie die entsprechende Adresse eingeben oder in einem großen Register, einer sogenannten Suchmaschine, ein Stichwort eintippen.

Der Server-Schrank des Bürgernetzes Neuburg-Schrobenhausen im "Haus im Moos".

Der Server-Schrank des Bürgernetzes Neuburg-Schrobenhausen im „Haus im Moos“.

Vielleicht interessiert Sie auch, wie man vom Keller der Realschule in den Rest der Welt kommt? Da ist zuerst eine Standleitung, eine ständig geschaltete Telefonleitung, die zur Fachhochschule in Ingolstadt führt, wo sich der nächsthöhere Einwählcomputer befindet. Von da führt eine Leitung des Deutsches Forschungsnetzes DFN zur Universität Eichstätt, von da führt eine weitere DFN- Leitung zum nächsthöheren Knoten. Und so geht das weiter, bis Sie – häufig, aber nicht immer – in Sekundenschnelle über ein Tiefseekabel oder eine Satellitenverbindung in den USA, in Australien oder sonstwo landen. Es gibt nur mehr wenige Länder, die nicht am Internet hängen, beispielsweise die Zentralafrikanische Republik oder Laos.

Doch zurück nach Schrobenhausen und zur anderen Seite des Einwählcomputers. Auf dieser anderen Seite befinden sich 16 Telefonleitungen – acht althergebrachte und acht sogenannte ISDN-Leitungen -, die sich allesamt mit der gleichen Nummer anwählen lassen. Es können sich also maximal 16 Nutzer gleichzeitig einwählen. Wir sind übrigens gespannt, wie lange diese Kapazitäten ausreichen. Sie sehen, so einfach ist es, ins Internet zu gehen!

Die größte Hürde, die Sie als neuer Nutzer erwartet, ist das Antragsformular, das Sie ausfüllen müssen. Denn ganz ohne Bürokratie geht es leider nicht. Dann aber steht Ihnen die weite Welt des Internets offen. Und was immer Sie in diesem unerschöpflichen Reservoir an Information suchen, wir wünschen Ihnen, daß Sie es finden. Sei es nun der letzte Brief von Karoline von Günderode an Achim von Armin – die richtige Adresse lautet hier University of Massachusetts – oder der Würzburger Pizzaservice – wir wünschen Ihnen viel Erfolg im Bürgernetz Neuburg-Schrobenhausen.

Benno Bickel
stellv. Vorsitzender „Bürgernetz”; 1. Vorsitzender „Schrobenhausen Online e. V.“




Joseph Sattler – Grafiker und Illustrator

Ein Grafiker zwischen Vergessen und Wiederentdeckung?

»Ich sehe für ihn eine Karriere voraus gleich jener von Aubrey Beardsley, dem Illustrator von King Arthur, dessen Genie mit dem seinen verwandt ist. … Es ist merkwürdig festzustellen, daß zwei ähnliche Begabungen gleichzeitig sich entfalten«, schreibt 1895 Friedrich Warnecke, der Begründer des Berliner Ex-libris­Vereins.«1

»Man kann die modernen Exlibris schier in zwei Klassen ordnen: erstens Sattler, und zweitens alles Übrige«, urteilt um die Jahrhundertwende der Kunstkritiker Kühl. 2»Seine 19 Zeichnungen sind von einer unbestreitbaren Originalität geprägt«, anerkennt die gewöhnlich mit Lob nicht gerade großzügig umgehende französische Kunstzeitschrift » L‘Art« nach einer 1893 stattfindenden Ausstellung im »Salon de Paris«, der den damals gerade 26jährigen Künstler mit einer »mention honorable« auszeichnet.3

 

Josef Sattler, Monogramm, Radierung, 11,5 x 9,5 cm, ca. 1924

Josef Sattler, Monogramm, Radierung, 11,5 x 9,5 cm, ca. 1924

Den, von dem hier die Rede ist, dem eine Zukunft wie Beardsley prophezeit wurde, sucht man heute in Konversationslexika und Kunstenzyklopädien vergeblich. Joseph Kaspar Sattler (1867- 1931) ist vergessen. Zu Recht oder zu Unrecht? Hielt das zeitgenössische Urteil einer Betrachtung aus der Distanz nicht stand, oder hatte eine schnellebige Zeit einfach keinen Platz für diesen Außenseiter? War es zu umständlich, eine passende Schublade für ihn zu finden, die ihn uns im Karteitrog der Klassifizierten und Eingeordneten in die Gegenwart hinübergerettet hätte? Diese Fragen können und sollen hier nicht eindeutig beantwortet werden. Vielleicht aber findet sich zu ihrer tiefergehenden Klärung doch einmal ein Kunsthistoriker, der Sattler eine Monographie widmet, oder ein Studierender der Kunstgeschichte, der – Modetrends hinter sich lassend – ihn als Thema seiner Abschlußarbeit für würdig befindet. [Anmerkung 2023: Das ist zwischenzeitlich geschehen] Reiches Material hierzu böte die Sattler­Sammlung der Stadt Schrobenhausen, die seit 1978 im historischen Hartl-Turm an der Wehrmauer untergebracht ist.4 [Anmerkung 2023: Die Schrobenhausener Sattler-Sammlung ist seit Jahren im Depot und der Öffentlichkeit nicht zugänglich]

Wenn auch eine Würdigung des Sattlerschen Œuvres aus heutiger Sicht also noch aussteht, so kann dennoch zweifelsfrei festgestellt werden, daß sich eine Beschäftigung mit diesem »Zeichner, Graphiker, Illustrator und Schriftkünstler«, wie die Vielseitigkeit des Künstlers gerne zusammengefaßt wird, äußerst lohnt. Freilich, im ersten Augenblick scheint es schwer, Zugang zu seinem Werk zu finden. Zu fremd sind dem heutigen Betrachter die vorzugsweise im Mittelalter angesiedelten Themen. Wem schon sind die »Wiedertäufer« ein Begriff? Und eine Prachtausgabe der Nibelungensage, vordergründig auch zur Verherrlichung von Chauvinismus und Imperialismus der Wilhelminischen Ära bestimmt, widerstrebt trotz ihres künstlerischen Wertes erfreulicherweise – noch – häufig demokratischem Selbstverständnis der Gegenwart. Das Faszinierende an Sattlers Arbeiten ist jedoch die ungeheure, elementare Phantasie, nicht selten um eine satirische Note angereichert, die trotz aller Zeitbefangenheit des Künstlers ein waches Auge für zeitlos übergreifende Kritik an »Menschlichem-Allzumenschlichem« offenbar werden läßt.

Aus der Mappe "Die Wiedertäufeer"

Josef Sattler. Tod des Propheten Jan Matthiesen, Lichtdruck, 15 x 15 cm. Aus: „Die Wiedertäufer“ 1895

Sattler und Schrobenhausen – biografischer Zufall ohne Folgen

Von allen Künstlern, die in diesem Buch [Anmerkung 2023: gemeint ist das »Schroenhausener Lese- und Bilderbuch«] behandelt werden, bleibt Sattlers Beziehung zu Schrobenhausen die zufälligste, an ausmachbaren Konsequenzen geringste. Er wurde eben hier geboren, weil sich sein Vater gerade für einige Jahre in der kleinen Stadt niedergelassen hatte, ehe er Attraktiveres fand. Dies zeigt sich auch am kunstgeschichtlichen Selbstverständnis Schrobenhausens. Ehe das Museum eröffnet wurde, das so etwas wie eine lokale »Sattler-Renaissance« brachte, rangierte sein Name an letzter Stelle.

Unternimmt man den Versuch, Sattlers Lebensweg zu skizzieren, so stößt man schnell auf Grenzen. Zwar liegt eine leidlich genügende Anzahl »harter« biographischer Fakten vor, doch lassen diese nur ein grobes Raster entstehen, ein zu grobes, als daß der Mensch Joseph Sattler als Individuum aus Fleisch und Blut sinnlich faßbare Konturen annehmen könnte. 5

Joseph Sattlers Geburtshaus in Schrobemhausen (Foto ca.1920. (Stadtarchiv Schrobenhausen)

Joseph Sattlers Geburtshaus in Schrobemhausen, heute Metzgergasse 3 (Foto ca.1920, Stadtarchiv Schrobenhausen)

Joseph Kaspar Sattler wurde am 26. Juli 1867 in Schrobenhausen geboren. 6 Sein Vater, Joseph Sattler, Glas- und Dekorationsmaler, war wohl Ende 1863 von Donaualtheim nach Schrobenhausen gezogen, erwarb das spätere »Engelhard-Haus« (heute Lenbachstraße 68; 1982 abgerissen) und verheiratete sich 1864 mit der Organistentochter Rosalie Lachner. Joseph Sattler sen. scheint ein Mann der Tat gewesen zu sein. Wie anders ließe es sich erklären, daß der Zugezogene, die Gunst der Stunde nutzend, 1870 Bürgermeister der Stadt wurde und dieses Amt drei Jahre innehatte? Doch bereits 1875 zog die Familie Sattler nach Landshut.

Der kleine »Sepp«, wie man ihn wohl gerufen haben mag, verbrachte also seine ersten acht Lebensjahre in Schrobenhausen. Über diese Zeit ist weiter nichts bekannt. Spekulationen, Franz von Lenbach sei der Taufpate Joseph Kaspar Sattlers gewesen, erwiesen sich als Fehlschlag. So reizvoll es auch für Heimatkundler gewesen wäre, dergestalt eine »künstlerische Begegnung« herzustellen, das Geburts- und Taufregister der Stadtpfarrkirche St. Jakob nennt als Paten nur einen Kaspar Geiger aus Dillingen und eine Anna Fuchs. Kontakte des späteren Künstlers zu seiner Geburtsstadt sind nicht nachgewiesen. Man darf wohl mit Georg August Reischl konform gehen, der schreibt, daß Sattler »nur noch spärliche Erinnerungen an die Stadt seiner Kindheit hatte«. 7 Für sein künstlerisches Werk scheint Schrobenhausen jedenfalls lediglich biographische Marginalie.

Auf dem Weg nach oben

Mit Sattlers weiterem Lebensweg beschäftigte sich Ludwig Hollweck, Leiter der Monacensia-Sammlung in München, auf dessen Arbeit die folgenden Zeilen mehrmals Bezug nehmen. 8
Die folgenden Anmerkungen beziehen sich auf das erstgenannte Typoskript.Der Vater, bei dem Joseph Sattler in Landshut zunächst als Anstreicherlehrling tätig war, brachte für die künstlerischen Neigungen seines Sohnes Verständnis auf. Im Jahre 1882 kam der 15jährige nach München, wo er bei dem Genremaler Heinz Heim ersten Unterricht genoß. Mit seinem Lehrer an der Kunstakademie, Gabriel Hackl, kam der Student nur schwer aus. 1886, im Alter von 19 Jahren, mußte Sattler die Akademie aufgrund finanzieller Probleme verlassen. Er malte nun – der Not gehorchend – alles, was Geld einbrachte, ehe er beim zweiten Anlauf in den heil‘gen Hallen der bildenden Künste dann auf einen Lehrer traf, bei dem e mit großer Freude arbeitete: Nikolaus Gysis. »Der temperamentvolle Grieche regte Sattler zu klarer formaler Durcharbeitung an, er zeigte ihm, daß monumentale Kunst nicht an große Flächen gebunden ist, und er führte ihn auch zur damals noch nicht anerkannten Plakatkunst. 9

1891 wird Sattler zusammen mit seinem elsässischen Malerfreund Leo Hornecker an die im Vorjahr gegründete Kunstgewerbeschule Straßburg berufen. In der Rolle des Lehrenden fühlt er sich jedoch nicht wohl; nach einem Semester gibt er diese Tätigkeit auf und arbeitet fortan freischaffend. Zunächst entstehen graphische Blätter und Folgen in »Anlehnung an die alten Meister … Dürer, Holbein, Cranach, Baldung«. 10 Als früheste gedruckte Arbeit wird in der greifbaren Literatur ein unter dem Titel » Die Quelle« 1892 erschienener Bilderbogen mit zwölf Lichtdrucken genannt. 11Hollweck bezeichnet als erstes größeres Werk die nach seinen Angaben 1893 in 100 numerierten Exemplaren herausgegebene Mappe »Bilder aus der Zeit des Bauernkrieges« (30 Blatt in Lichtdruck).12 Zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes und zur Freude seiner Mäzene zeichnet Sattler nun auch reizvolle Exlibris, die ihn bei Sammlern dieser Buchzeichen innerhalb kurzer Zeit international berühmt machen. 1893 stellt der Künstler Zeichnungen im renommierten »Salon de Paris« aus; er erntet Anerkennung und ermutigende Kritik. Diese Erfolge öffnen ihm 1894 die Tore des Berliner Kunstgewerbemuseums, wo er im November ausstellt. Aufträge für die Kunstzeitschrift »Pan« und der zunehmend enger werdende Kontakt zum Verlag von J. A. Stargardt veranlassen Sattler 1895, nach Berlin zu ziehen. 13 Allein in diesem Jahr erscheinen bei Stargardt seine Werke »Bilder vom internationalen Kunstkrieg«, »Die Wiedertäufer« und »Deutsche Kleinkunst in 42 Bücherzeichen«.

Die Kunstzeitschrift »Pan« existierte nur fünf Jahre von 1895 bis 1900. Mit ihr sind Namen wie Otto Julius Bierbaum, Arnold Böcklin, Thomas Theodor Heine und Max Liebermann verbunden. Als Werbemittel für den ersten Jahrgang 1895/96 kreiert Sattler ein Plakat, »das in allen neuen Werken über den Jugendstil jetzt … als beispielgebend erwähnt wird«, wie Ludwig Hollweck betont, der diese Arbeit so beschreibt: »Drei Blütenfäden einer Lotusblume zeichnen das Wort >Pan < in den Himmel, der gehörnte Naturgott lauert im Hintergrund, Spaten und Rechen sollen zu neuer Arbeit rufen.« 14

 

Plakat für Kunstzeitschrift "Pan" 1895

Joseph Sattler, Plakat für die Kunstzeitschrift „Pan“ 1895 (Stasdtarchiv Schrobenhausen)

»Den bedeutendsten Auftrag seines Lebens« erhält Sattler im Jahre 1898. 15 Er wird in die Berliner Reichsdruckerei berufen, »um ein Monumentalwerk deutscher Buchkunst – ›Die Nibelunge‹ – zu schaffen«. 16 Der Künstler zeichnet die Bilder und Initialen, entwirft die Drucktypen und den Einband, kümmert sich um die Wahl des Papiers. Auf der Pariser Weltausstellung von 1900 erhält die Prachtausgabe einen »Grand Prix«. Einzug hielt diese »Nibelunge« mit ihrem äußerst stolzen Preis von 600 Mark nur in außerordentlich betuchten Bibliotheken.17 Im Jahre 1927 erschien eine einfachere, erschwinglichere Ausgabe für 9,80 Mark.

Josef Sattler, Titelblatt zu "Die Nibelunge", Zeichnung 1900

Josef Sattler, Titelblatt zu „Die Nibelunge“, Zeichnung 1900 (Stadtarchiv Schrobenhausen)

1904 verläßt Sattler Berlin und kehrt nach Straßburg zurück. Seiner Vielseitigkeit entsprechend, entstehen unter anderem graphische Einzelblätter, Exlibris, Buchillustrationen, Buchschmuck, Plakate und Gebrauchsgraphik. Im März 1917 wird Joseph Sattler durch ein Patent des »Kaiserlichen Statthalters in Elsaß-Lothringen« zum Professor ernannt, doch kurz vor dem Einzug der französischen Truppen verläßt der Künstler Straßburg und kehrt nach Bayern zurück.

München und Heinrich Graf

Sattler wohnt nun in München bei seiner Schwester Rosa in der Ainmillerstraße 15/III rechts. Am 19. November 1918 meldet er sich polizeilich an. Obwohl es um ihn nun still geworden ist, arbeitet er weiter. So entstehen bis 1931 noch über 90 Exlibris, die Bücher angesehener Bürger zieren. Einen neuen Impuls beschert Sattler 1924 die Begegnung mit dem heute [Anmerkung: 1982] 84jährigen Kunstkupferdrucker Heinrich Graf. Durch ihn wendet er sich der Radierung zu. Heinrich Graf schreibt darüber im Mai 1934: »Als ich damals den Künstler in seinem bescheidenen Heim besuchte, machte ich ihn auf die Technik der Radierung aufmerksam, besorgte ihm auch einige Kupferplatten und präparierte diese. Nach einigen Tagen brachte er mir eine Platte, auf der sein Monogramm, umgeben von mindestens tausend Köpfen, prangte. Ich hatte mich damals bereit erklärt, seine Platten zu ätzen: als ich aber die mühevolle Arbeit sah, verlor ich fast den Mut. Denn ich wollte es nicht auf mich nehmen, eine solche Arbeit möglicherweise zu verätzen, und bat den Künstler, vorerst mit einer einfacheren Arbeit zu beginnen.

Das tat er, und die Ätzung fiel zu unserer Zufriedenheit aus, was der sofort hergestellte Probedruck bewies. Der Tod, welcher mit der linken Hand schreibt, wurde dann als >erste< Radierung bezeichnet, und wir nannten sie nur die >Zwanzig-Minuten-Ätzung<. Der Künstler fand große Freude an der Technik, und auch ich bekam im Ätzen größere Sicherheit. In der Folge habe ich alle Platten Sattlers selbst geätzt und manches dabei gelernt. Es entstanden nach und nach eine Anzahl von Exlibris, auch Gelegenheitsgraphik, die er teils von seinen Freunden und Gönnern in Auftrag bekam, teils konnte ich ihm aus meinem Kunden- und Freundeskreise mehrere kleine Aufträge vermitteln. Mein Bemühen ging dahin, den Künstler zu einem größeren Werke anzuregen, und so entstand für das Lutherjahr: >Zehn Bilder aus Dr. Martin Luthers Leben<. Diesem sollte das Werk >Helden und Burgen der Reformation< folgen; doch entstanden dafür nur zwei Platten, denn am 12. Mai 1931 nahm der Tod dem Künstler den Griffel aus der nimmermüden Hand und vereitelte alle weiteren Pläne.« 18

So wurden die »Zehn Bilder aus Doctor Martin Luthers Leben«, 1929 als Handpressenkupferdruck von der Graf-Presse hergestellt und verlegt, das letzte größere Werk, das zu Sattlers Lebzeiten erschien. Heinrich Graf blieb dem Künstler jedoch auch nach dessen Tode treu. In drei Teilen verlegte er 1934 posthum Sattler-Radierungen, die in den Jahren der Zusammenarbeit entstanden waren.

 

Josef Sattler, Radierung, 14,5 x 9,5 cm. Aus: Zehn Bilder aus Doctor Martin Luthers Leben, 1929

Josef Sattler, Radierung, 14,5 x 9,5 cm. Aus: Zehn Bilder aus Doctor Martin Luthers Leben, 1929

Die Zäsur

Betrachtet man das Leben Joseph Kaspar Sattlers zusammenfassend, so fällt eine tiefe Zäsur auf: der Erste Weltkrieg und der Zusammenbruch des Kaiserreichs. Vor 1914 der erfolgreiche, geschätzte, anerkannte Künstler, nach 1918 der vergessene, unverstandene, verbitterte Künstler. Mag dieser Gegensatz vielleicht auch etwas zu kraß formuliert sein, die wenigen vorhandenen Anhaltspunkte scheinen auf einen Menschen zu deuten, der sich in der Zeit der Republik nicht mehr zurechtfand. Eine jener tragischen Figuren, wie sie Joseph Roth in seinen Romanen zeichnet? Ein Unschuldiger, oder ein Schuldiger? Zweifelsohne war Sattler ein bürgerlicher Künstler, weder Bohemien noch Avantgardist, sondern einer, der in der Welt des kaiserlichen Deutschlands zuhause war, darin seine Identität hatte. Ebensowenig dürften Zweifel bestehen, daß für Sattler als Kind seiner Zeit Begriffe wie Deutschtum und Vaterland einen Stellenwert besaßen, den heute in dieser Form zu akzeptieren die Geschichte uns unmöglich gemacht haben sollte. Keinesfalls aber repräsentierte Sattler jenen »gefährlich übersteigerten Nationalismus«, 19 der in den Abgrund führte; keinesfalls war er ein platt-fanatischer Propagandist deutschen »Weltmachtstrebens«, eines »Größeren Deutschlands« Rohrbachscher Prägung, mögen auch Arbeiten von ihm in diesem Sinne eingesetzt und interpretiert worden sein. Dies zu konstatieren, genügt ein Blick auf sein Werk. Dafür ist es zu differenziert, zu gut. Als Künstler lebte Sattler in einer Welt, die mit den gesellschaftlich-politischen Verhältnissen des Wilhelminismus zwar nicht unbedingt vollkommen identisch war, mit ihnen aber in Übereinklang stand. Die Republik bot diesen Rückhalt nicht mehr. Die Umwälzung entläßt den eher unpolitisch anmutenden Sattler in eine neue Realität, in der er sich als dreifach Heimatloser wiederfindet: künstlerisch, geistig und geographisch.

»Er lebte sehr zurückgezogen; seine ihm lieb gewordene Wahlheimat, das Elsaß, und vor allem sein Straßburg hat er schweren Herzens verlassen, … und damit verlor er auch den Kreis seiner Freunde und Gönner, die überallhin zerstreut wurden, soweit sie nicht Franzosen wurden. … Einige seiner Straßburger Freunde suchten ihn zur Rückkehr zu bewegen, aber er konnte es nicht über das Herz bringen, sein geliebtes Straßburg in französischen Händen zu wissen. Darunter litt er sehr«, erinnert sich Heinrich Graf. 20 So recht heimisch werden konnte also Sattler in München nicht mehr. »Joseph Sattler war ein sehr liebenswürdiger Mensch!« betont Graf. 21 In das Privatleben des Künstlers gewann der Kupferdrucker jedoch kaum Einblick. »Er soll aber häufig und viel getrunken haben, ist mir erzählt worden.« 22 Graf sieht darin auch eine Erklärung dafür, warum im Spätwerk die Darstellung des Todes eine besondere Rolle spielt.23 Angetrunken soll Sattler nachts in niedergeschlagener Stimmung sich immer wieder mit diesem Motiv beschäftigt haben. Wenn sich auch kein expliziter Hinweis finden läßt, so liegt dennoch der Schluß nahe, daß Sattlers Krankheit und Tod zumindest mittelbar mit seinem Alkoholkonsum zusammenhängen. Von den letzten Lebenstagen ist überliefert: »Graf wollte den Künstler besuchen, … doch die Schwester erklärte, es gehe ihrem Bruder nicht gut. Am nächsten Tag, als Graf wieder kam, war Sattler bereits ins Schwabinger Krankenhaus eingeliefert worden. Auch dort besuchte der Drucker den Künstler und brachte einen neu gefertigten Druck mit. Sattler betrachtete die Arbeit und lobte sie, doch Graf hatte bemerkt, daß der Kranke das Blatt verkehrt gehalten hatte. Im nächsten Moment wollte Sattler mit Graf den Raum verlassen: >Gehn wir in die Werkstatt<, sagte der Kranke und stand auf, suchte seinen Kragen, griff nach dem Kragenknöpferl und langte, ohne dies zu bemerken, in die Zuckerdose. >Da war mir klar, wie schlimm es mit ihm stand<, sagt Graf dazu. Am nächsten Tag wollte er noch einen Besuch im Krankenhaus machen, doch er kam zu spät. Sattler war kurze Zeit vorher gestorben.« 24

 

 

Josef Sattlers "erste Radierung": Der Tod schreibt mit der linken Hand. Entstandem ca. 1924 in München

Josef Sattlers „erste Radierung“: Der Tod schreibt mit der linken Hand. Entstandem ca. 1924 in München

 

Ein »archaisierender« oder ein »sattlernder« Sattler

»Für sein Kunstschaffen und für seine Kunstauffassung hatte man in der Republik wenig Verständnis. Dies tat dem Künstler oft bitter weh. … Die Scheinblüte der Kunst in der Inflationszeit und der schnellebige moderne Zeitgeist waren ihm ein Greuel. Er zog sich mehr und mehr in sich selbst zurück«, notiert Heinrich Graf. 25

Welcher Art nun war diese Kunstauffassung? Hierzu seien einige zeitgenössische Meinungen zitiert. Als erster Zeuge Sattler selbst: »Es reizte mich vor allem der alte Holzschnitt-Stil, den ich bei alten Darstellungen mit großer Liebe verfolgte. Wenn auch manchmal bei alten Holzschnitten die Zeichnung darunter litt, so ist doch die Behandlung dieser Blätter mit dem Schneide-Messer karakteristisch. Die Verbindung harter Züge mit vorsichtiger Freiheit war mir höchst interessant.« 26 Hier wurzelt eine Kontroverse: Ist Sattler nun ein – handwerklich zwar hervorragender – Nachahmer des Dürerschen oder Holbeinschen Holzschnittstils, oder besitzt er Originalität? Der Berliner Kunstkritiker Daniel Greiner verteidigt im Jahre 1903 den gerade 36jährigen Künstler so: »Es konnte nicht ausbleiben, daß bei solch hingebendem Studium es unser Künstler zu ähnlicher Meisterschaft in der Beherrschung der Holzschnitt-Technik der Alten brachte, wie sein Landsmann Lenbach auf dem Gebiete der Öl-Malerei. Indes bewahrte ihn seine selbständige Art, bei bloßer Nachahmung stehen zu bleiben und in Archaismus unterzugehen. Jene glänzende Epoche deutscher Kunst wurde für ihn zwar Meisterin, aber er wußte diese selbstgesetzte gefährliche Schranke zu überwinden und, den Stil der Alten fortentwickelnd, zu einem eigenen Stil zu gelangen. Schon die am auffallendsten altmeisterlich gezeichneten Bilder aus dem Bauern-Kriege zeigen die keimende Eigenart Sattler’s auch in diesem Punkte. >Ganz die Art der alten Meister!< >Und doch nicht ganz!< So zeichneten die alten Meister nicht. Vor allem fehlt die naive Art der Alten, man sieht schon diesen Blättern an, daß ein moderner Mensch sie gezeichnet hat.« 27 Und Kühl sieht etwa zur gleichen Zeit einen Entwicklungsprozeß: »Gewiß archaisiert Sattler. Gewiß wimmelt es in seiner Phantasie von alten Burgen und Verließen, von Folterwerkzeugen und eisenbeschlagenen Türen, von siegelbehangenen Urkunden und Scharteken.« Doch habe ihn »der unbekannte Geist seines Innern« … » mit der Zeit völlig von allem Altertümeln frei gemacht«. Daß Sattlers Illustrationen zu Heinrich Boos‚ »Geschichte der rheinischen Städtekultur« (Berlin 1897-1901) von Kritikern erneut des Archaisierens geziehen wurden, erscheint Kühl »schlechterdings unbegreiflich«. Er meint: »Wer so urteilt, hat den Stil der Alten vergessen und begeht ein einfaches Quidproquo: er hat sich aus Sattlers früheren Werken eine Vorstellung von der mittelalterlichen Welt angeeignet und nimmt nun das Persönliche in seinem Stil, der sich hier sozusagen ganz abstrakt gibt, ohne weiteres für archaisch. Wie kann man nur angesichts dieser durchsichtigen, frei komponierten, weiträumig gedachten Rundbilder den Eindruck haben, daß der Künstler darin dürert oder holbeint. Keine Spur. Er sattlert in diesem Werk, das ist alles.« 28

Joseph Sattler, Zeichnung/Heliogravur. Aus: Ein moderner Todtentanz 1894

Joseph Sattler, Zeichnung/Heliogravur. Aus: Ein moderner Todtentanz 1894

Daß Sattler in der Welt des Mittelalters zu Hause war, zeigt bereits ein erster flüchtiger Blick auf sein Werk mit hinreichender Deutlichkeit. Greiner stellt fest:» Der Künstler hat etwas von einem Geschichtsforscher in sich. … Auch hierin leistet er Hervorragendes. Es ist wohl kein Künstler so innig vertraut mit den Kultur-Verhältnissen des deutschen Mittelalters und der Renaissance wie der Schöpfer der ‚Bilder aus dem Bauernkrieg‘, der ‚Wiedertäufer’…« 29 Sattlers düstere Weltschau, durch das satirische Element eher betont als abgemildert, kommt hier voll zur Geltung. Er »schildert das Leben von seiner rauhen Seite, den wildtosenden Kampf, den Schrecken und das Entsetzen, die Macht des Todes«. 30 Von den Blättern » Kalktaufe«, »Münsterisch Straßenleben« und »Das Wort ist Fleisch geworden und wohnet in uns« aus den »Wiedertäufern« schwärmt Kühl: »Welche Phantasie hat diese Menschen erschaut, die sich zwischen Himmel und Erde an ein paar Leitern emporarbeiten, und von der heißen Flüssigkeit getroffen, wie Würmer in sich zusammen kriechen! … Die Szene ist hell gehalten, keine kleinste dunkle Partie, die zur Hebung der Lichter dienen könnte, und doch brennt einem das Weiß des Kalkes geradezu in den Augen. Man meint, ihn auf dem eigenen Rücken zu fühlen. Von gleicher Grandiosität ist das dunkler gehaltene Blatt, das die Verhungernden in den Straßen Münsters zeigt, wie sie da herumhocken und -stehen und -liegen, die Armen, aus deren lemurenhaften Gesichtern jeder Lebensausdruck, selbst der Haß geschwunden ist.« Das dritte Bild schließlich >zeigt den vertierten König<, auf vier Tatzen gehend, aber mit menschlichem Kopf, in einer Haltung, die eine leise Erinnerung an den grasfressenden Nebukadnezar wachruft. Doch trägt dieser hier die Bibel im Maul. Unter seinem Mantel, der vorzüglich sein Hinterteil deckt, sieht man das kleine Volk an den Sphinxbrüsten hangen. Der unmittelbare Eindruck ist der einer ekelhaften Blödigkeit, die auch deutlich aus seinen Augen hervorschaut; zugleich aber eine verschwommene und unehrliche Vorstellung von Würde. … gerade in den ernstesten und fürchterlichsten Bildern klingt ein grausiges Lachen durch. Ob dem Zeichner selber einmal unheimlich zu Mute geworden ist in dieser lrrenanstalt?« 31

 

Sattler und die Kleinkunst

Neben den großen Arbeiten mit den vorwiegend mittelalterlichen Themen – Federzeichnungen, Pinselzeichnungen, getuschte Bilder, Holzschnitte und Radierungen, viele von ihnen als Zyklen unter Anwendung des Lichtdrucks, des Kupferdrucks, der Photogravur in Mappen oder in Buchform veröffentlicht – nimmt in Sattlers Werk die sogenannte Kleinkunst einen bedeutenden Platz ein: Buchillustrationen, Buchschmuck (Vignetten, Initialen, Ornamentik mit Streifen, Bändern, Schnitzeln, Spänen, Splittern), Signets und natürlich Exlibris. Greiner und Kühl kommen hier zu ähnlicher Einschätzung. Der eine: »Man weiß nicht, was man an Sattler’s Fantasie mehr bewundern soll: ihre Tiefe oder ihre oft geradezu überraschende Originalität oder ihre eminente Vielseitigkeit. Sie ist immer frisch, lebendigsprudelnd, wie ein unversieglicher Berg-Quell. Ihr Reichtum zeigt sich namentlich in einer Fülle kleiner Zeichnungen, Vignetten, Leisten, Initialen, Signets und Bücher-Zeichen. Immer wieder eine neue, reizvolle Idee, manche, und nicht wenige, sind wahre Kostbarkeiten zeichnender Kleinkunst. Sehr häufig begegnet der menschliche Kopf in immer anderen Variationen … Er kann sich gar nicht genug thun, immer wieder Köpfe zu zeichnen, und bedeckt ganze Blätter mit zahllos scheinenden Köpfen und zwingt ihre Mannigfaltigkeit zum Ornamente.« 34

Joseph Sattler. Die Kalktaufe, Lichtdruck 23 x 30 cm- Aus: Die Wiedertäufer, 1895

Joseph Sattler. Die Kalktaufe, Lichtdruck 23 x 30 cm- Aus: Die Wiedertäufer, 1895

 

Joseph Sattler, Exlibris, Zeichnung/Kunstdruck, 6 x 9 cm. Aus: Deutsche Kleinkunst in 42 Bücherzeichen, 1895

Joseph Sattler, Exlibris, Zeichnung/Kunstdruck, 6 x 9 cm. Aus: „Deutsche Kleinkunst in 42 Bücherzeichen“ 1895

Besondere Anerkennung erwarb sich Sattler bei seinen Zeitgenossen mit seinen Exlibris. Die »Zeitschrift des Ex-libris-Vereins zu Berlin« stellt – besonders in den Jahren 1893 bis 1906 – immer wieder Sattlers neue Buchzeichen vor und bespricht sie meist mit ausgesprochener Euphorie, diese »genialen Kompositionen des jungen Meisters«. 35 »In eleganter Mappe«, für 40 Mark, erscheint 1895 bei J. A. Stargardt »Deutsche Kleinkunst in 42 Bücherzeichen«.36 Noch im gleichen Jahr folgt die englische Ausgabe »Art in Book-Plates. Forty two original Ex-Libris designed by Joseph Sattler«. Exlibris des Künstlers sind zwischen 1898 und 1906 unter anderem in London, Straßburg, Wien, Berlin und München zu sehen. 37 Die Bücherzeichen-Kundschaft Sattlers rekrutiert sich aus Hochadel, Adel und Geldadel, Bürgern und Künstlern. Vertreten sind beispielsweise auch »Ihre Majestät die Kaiserin und Königin Auguste Victoria« und Philipp Graf zu Eulenberg. Buchzeichen wie auch andere Beispiele Sattlerscher Kleinkunst sind nicht selten vom Jugendstil geprägt. Einigen Exlibris ist anzusehen, daß es auch Geschmack und besondere Wünsche des erlauchten Auftraggebers zu berücksichtigen galt. Nicht immer konnte der Künstler so »sattlern«, wie er es wohl gerne gewollt hätte. Derlei Zwängen enthob er sich mitunter durch Exlibris­Zeichnungen, hinter denen kein Besteller stand, die gar nicht den Zweck eines Buchzeichens erfüllen sollten, sondern sich lediglich der Form eines solchen bedienten. Beispiele dieser Art enthält auch die Mappe »Deutsche Kleinkunst in 42 Bücherzeichen«. Über derart Afunktionales freilich rümpften Exlibristen die Nase. Daß Sattlers Exlibris-Skizzen im »Durcheinander« (Berlin 1897) »wirkliche Exlibris« sind, bezeichnet ein Anonymus als »entscheidenden Fortschritt«. 38

Einigkeit herrscht unter den Zeitgenossen, was die in jenen Jahren gerade auflebende »Exlibris-Bewegung« Joseph Sattler verdankt. Er hat bei den Buchzeichen »auf den heraldischen Zopf verzichtet und damit für die dekorative Fassung neuer stofflicher und ornamentaler Einfälle freie Luft geschafft«, stellt Kühl fest. 39 Der Exlibris-Forscher und Sammler Walter von zur Westen schreibt: »Erst Joseph Sattlers Bucheignerzeichen haben die schöne alte Exlibrissitte einer großen Gemeinde von Kunstfreunden nahegebracht und haben Anstoß gegeben, daß die Exlibriszeichnung sich aus einer Domäne heraldischer Künstlerspezialisten zu einem weiten Schaffensgebiet für die Künstler der verschiedensten Richtungen erweitert hat.« 40

Josef Sattler. Exlibris, Zeichnung/Kunstfahrendruck, 15 x 8,5 cm. Aus: "Deutsche Kleinkunst in 42 Bücherzeichen" 1895

Josef Sattler. Exlibris, Zeichnung/Kunstfahrendruck, 15 x 8,5 cm. Aus: „Deutsche Kleinkunst in 42 Bücherzeichen“ 1895

Sattlers Mappen und Bilder

Eine Bibliographie von Sattlers Mappen und in Buchform veröffentlichten Graphik-Zyklen sowie der von ihm illustrierten und geschmückten Bücher fehlt bis heute. Die folgende Zusammenstellung, die keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, versucht, wenigstens einen kleinen Überblick zu geben. Als Quellen dienten in erster Linie Titelverzeichnisse des Verlages von J. A. Stargardt, Berlin, in den Sattler-Werken »Die Wiedertäufer« und »Bilder vom internationalen Kunstkrieg«, der Katalog der Bayerischen Staatsbibliothek, München, und die in den USA erscheinende Bibliographie »The National Union Catalog«. Eingeklammerte Jahreszahlen weisen darauf hin, daß es sich nicht um eine Erstausgabe handelt. In Anführungszeichen gesetzte Angaben sind wörtlich den genannten Titelverzeichnissen von Stargardt entnommen.

1892
Die Quelle. 12 satyrische Blätter
12 Lichtdrucke in Gross-Folio.
Verlag von J. A. Stargardt, Berlin

1892 oder 1893
Bilder aus der Zeit des Bauernkrieges
30 Blatt in Lichtdruck. Limitierte und numerierte Ausgabe in 100 Exemplaren. (Nach Kühl 1892, nach Hollweck 1893 erschienen, vgl. Anm. 12.)
Verlag von J. A. Stargardt, Berlin

1893
Une cure merveilleuse
Kurzgeschichte, illustriert von Joseph Sattler
ohne Ort

1893–96
zusammen mit Charles SPINDLER: Elsaesser Bilderbogen. Images alsaciennes
1.-3. Jahrgang.
F. X. de Roux & Co., Straßburg

1894
Ein moderner Todtentanz
»13 zum Theil farbige Heliogravuren. Folio. In art-linen-Originaleinband.« Verlag von J. A. Stargardt, Berlin

1894
A Modern Dance of Death
(Englische Ausgabe von Ein moderner Todtentanz.)
H. Grevel & Co., London

1895
Friedrich SARRE: Die Berliner Goldschmiede-Zunft
Mit einem Titelblatt von Joseph Sattler.
Berlin

1895
Deutsche Kleinkunst in 42 Bücherzeichen
Mit einem Vorwort von Friedrich Warnecke
»42 Original-Ex-libris, meist in prächtigem Kunstfarbendruck. Folio. In Originalmappe.«
Verlag von J. A. Stargardt, Berlin

1895
Art in Book-Plates. Forty two original Ex-libris designed by Joseph Sattler. With an introduction on artists, literature and collectors of Ex-libris in England, the United States, Germany and France by Frederick Warnecke
(Englische Ausgabe von Deutsche Kleinkunst in 42 Bücherzeichen.)
H. Grevel & Co., London

1895
Bilder vom internationalen Kunstkrieg. La guerre des peintres. Artists on the war-path
J. A. Stargardt, Berlin

1895
Die Wiedertäufer
Es erschienen folgende Ausgaben:
»1 Originalradierung und 29 Blätter in Lichtdruck und Holzschnittmanier. Folio.
Liebhaber-Ausgabe auf altjapanischem Papier, enthaltend drei Originalradierungen und 27 Blätter in Lichtdruck und Holzschnittmanier. Nur in 100 in der Presse numerierten Exemplaren gedruckt. Grossfolio.«
Verlag von J. A. Stargardt, Berlin

1896
Meine Harmonie
6 Blätter, 10 Tafeln. In Mappe. Verlag von J. A. Stargardt, Berlin

1896
Georg FUCHS (Hrsg.): Das Werk des Malers Heinz Heim
Mit Titelzeichnung und Initialen von Joseph Sattler.
Verlag von J. A. Stargardt, Berlin

1897
Durcheinander. Allerlei Zeichnungen und Skizzen von Ex-libris, Titelblätter, Zierleisten, Vignetten usw. im Laufe der letzten Jahre gefertigt von Joseph Sattler
Verlagsbuchhandlung Stargardt, Berlin

1897-1901
Heinrich BOOS: Geschichte der rheinischen Städtekultur von den Anfängen bis zur Gegenwart mit besonderer Berücksichtigung von Worms
Mit Zeichnungen von Joseph Sattler.
J. A. Stargardt, Berlin

Werbung des Verlages J. A. Stargardt

Werbung des Verlages J. A. Stargardt

1900
REICHSDRUCKEREI (Hrsg.): Die Nibelunge
Gestaltet und illustriert von Joseph Sattler.
Berlin

1904
Die Nibelunge
Text der Hohenems-Münchener Handschrift A des Nibelungenliedes nach der Ausgabe von Karl LACHMANN.
Illustriert von Joseph Sattler.
Stargardt, Berlin

1905
Légendes d‘Alsace, in: Revue Alsacienne Illustrée (hrsg. von Charles SPINDLER), 7. Jahrgang.
Illustrationen von Joseph Sattler. 46 Blätter mit Abbildungen, 15 Tafeln. Strasbourg

(1912)
Ein Moderner Totentanz in 16 Bildern gezeichnet
16 farbige Heliogravuren; 2 Blätter, 16 Tafeln.
Zweite, vermehrte Auflage
Stargardt, Berlin

1917
Ostergruß der Kaiser Wilhelms Universität Straßburg an ihre Studenten im Felde
Zusammengestellt und herausgegeben von der Kriegsstelle der Universität Straßburg durch Joh. FICKER. Den Schmuck des Buches schuf Joseph Sattler.
Straßburger Druckerei und Verlagsanstalt, vorm. R. Schultz & Co., Straßburg

1927
Die Nibelunge
Einfache Volksausgabe nach der Prachtausgabe der Reichsdruckerei aus dem Jahre 1900.
Deutsche Buchgemeinschaft, Berlin

(1929)

Will VESPER: Tristan und lsolde. Parzival. Ein Liebes- und Abenteuerroman
Mit Bildern von Joseph Sattler.
188. Tausend
Die Bücher der Rose
Wilhelm Langewiesche-Brandt. Ebenhausen bei München

1929
Zehn Bilder aus Doctor Martin Luthers Leben
Handpressenkupferdruck in 400 numerierten Exemplaren. 22 Blätter.
Druck und Verlag der Graf-Presse, München

1932
Joseph Sattlers letzte Arbeit
Zwei fertige Platten – Goetz von Berlichingen und Sebastian von Rotenhahn –aus dem geplanten Werk Helden und Burgen nach dem Tode des Meisters herausgegeben von Heinrich GRAF.
Graf-Presse, München

1934
Radierungen. 1. Teil
Mit einem Vorwort von Heinrich GRAF
Gedruckt und verlegt von der Grafpresse-München

Joseph Sattler, Radierung 1929

Joseph Sattler, Radierung 1929

1934
Radierungen. 2. Teil
Mit einem Vorwort von Heinrich GRAF.
Gedruckt und verlegt von der Grafpresse-München

1934
Kaltnadelradierungen. 3. Teil
Mit einem Vorwort von Heinrich GRAF.
Gedruckt und verlegt von der Grafpresse-München

(1936)
Ernst von WILDENBRUCH: Das Hexenlied
Buchschmuck von Joseph Sattler.
13.-15. Tausend
Grote, Berlin

ohne Jahr (vor 1896)
Merkbuch des Ritters Hans von Schweinichen
Mit einem Titelblatt von Joseph Sattler.
ohne Ort

ohne Jahr
Hans Jakob Christoffel von GRIMMELSHAUSEN: Simplicius Simplicissimus
Bilder, Initialen und Vignetten von Joseph Sattler.
ohne Ort

ohne Jahr
Exlibris. Neue Folge
20 ein- und mehrfarbige Handpressen-Kupferdrucke.
0. Wiegand, Leipzig

 

Nachbemerkung

Dieser Text erschien erstmals 1982 im „Schrobenhausener Lese- und Bilderbuch“ unter dem Titel „Joseph Kaspar Sattler. Ansätze zu einer Spurensicherung“. Die damalige Rechtschreibung wurde beibehalten. An wenigen Stellen finden sich Anmerkungen mit dem Stand 2023 in eckigen Klammern. Die Illustrationen wurden um zwei Abbildungen ergänzt. Die Reproduktionen stammen – soweit nicht anders angegeben – aus der Sammlung des Autors.

 




vhs-Titelbilder von Karl Stöger – Teil 1: 1991 bis 1996

Karl Stöger, der lange Jahre in Schrobenhausen als Lehrer tätig war, hat sich nicht nur einen Namen als Collagen-Künstler gemacht, sondern ebenso als „Gebrauchsgrafiker“ der gehobenen Kategorie vielen Büchern und Broschüren ein unverwechselbares Gesicht gegeben. Dazu zählen auch die Programmhefte der Volkshochschule Schrobenhausen, die er von 1991 bis 2009 gestaltet hat. Insgesamt trugen 38 Hefte mit einer Gesamtauflage von mehr als 800 000 Exemplaren seine Handschrift, von zahlreichen Entwürfen, die es ebenso verdient gehabt hätten, gedruckt zu werden, ganz zu schweigen. Übrigens hat Stöger seine Arbeiten als Gönner und Förderer der vhs nie in Rechnung gestellt.

In diesem ersten Beitrag präsentieren wir die in der Zusammenschau wie aus einem Guß anmutenden Titelbilder der Jahre 1991 bis 1996, deren harmonische Gestaltung und spielerisch wirkender, aber wohl durchdachter Typografie neben dem Künstler auch den gelernten Schriftsetzer Karl Stöger erkennen lassen.

All diese grafischen Lösungen – noch ohne Bildcollagen – visualisieren Sinn und Anspruch ernst gemeinter Erwachsenenbildung jenseits ebenso geistlosen wie profitorientierten Marketings, wie wir es heute in Zeiten privatwirtschaftlich orientierter Bildungsinstitutionen zunehmend erleben:  Da gibt es das Entdecken neue Kontinente (Frühjahr 1991), im Vexierbild das Gemeinschaftserlebnis vhs (Frühjahr 1993) oder die vielen Schlüssel zu Wissen und Erkenntnis (Frühjahr 1995).




Der Collagenkünstler Karl Stöger

Karl Stöger wurde 1946 in Leipheim geboren. Und das ist ihm wichtig zu betonen: am 1. Dezember 1946, also am selben Tag, an dem der Freistaat Bayern wiedergeboren wurde, denn an diesem Sonntag wurde per Volksabstimmung die Bayerische Verfassung mit 70,6 % Ja-Stimmen angenommen. Nach dem Besuch der Volksschule in München legte er nach einer Lehre seine Gesellenprüfung als Schriftsetzer ab. Er machte sein Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg am Abendgymnasium Mainz und studierte anschließend Lehramt für Volksschulen an der Universität München. Von 1973 bis 2005 war er Lehrer an Grund- und Hauptschulen. Seit 1983 wohnte er in Schrobenhausen und war hier 7 Jahre lang Lehrer an der Haupt- und 14 Jahre lang an der Grundschule. Seit 2006 wohnt er in der Borstei in München, betreut dort das Borsteimuseum und hat verschiedene Veröffentlichungen über die Borstei verfasst.

Schon früh beschäftigte sich Karl Stöger künstlerisch mit der Collagenkunst, sein Lebenswerk umfasst etwa 2.500 Collagen, darunter rund 100 über Schrobenhausen. Karl Stöger stellte seine Collagen mehrmals im Kunstverein Schrobenhausen aus und veröffentlichte zwei Collagenbücher im Verlag Benedikt Bickel. Viele Jahre schmückten seine Collagen das Programm der Schrobenhausener Volkshochschule und fanden so eine sehr großes Publikum. Musikliebhaber kennen Karl Stöger auch als Kontrabassisten  der Schrobenhausener Jazzband „Midnight Blue“ und der Volksmusikgruppe „Schrobenhausener Hoagartenmusi“.

Karl Stöger hat im Jahr 2022 seine Schrobenhausener Collagen im Original und seine anderen Collagen digital an das Stadtarchiv Schrobenhausen übergeben. Im Herbst 2023 wurde er in der Städtischen Galerie im Pflegschloss mit einer umfangreichen Werkschau gewürdigt.

 

Publikationen von Collagen

  • Karl Stöger: Schrobenhausen in anderen Ansichten. Ausgewählte Texte und Collagen, Schrobenhausen 1988 (Verlag Benedikt Bickel)
  • Karl Stöger: Mün-Chen. Eine Weltstadt in anderen Ansichten, Schrobenhausen 2005 (Verlag Benedikt Bickel)

Beide Bücher sind in der Stadtbücherei und im Stadtarchiv vorhanden. Interessierte finden sie auch über Antiquariats-Portale.